Die Prophezeiungen von Celestine
vorübergehender Natur sind und schließlich
überwunden werden. Dann werden wir endlich verstehen, wonach wir eigentlich suchen und was diese scheinbar so erfüllende Erfahrung in Wirklichkeit ausmacht. Und in dem Augenblick werden wir die Erste Erkenntnis gewonnen haben.«
Das Essen kam, und wir unterbrachen unser Gespräch, während der Kellner Wein nachschenkte und wir gegenseitig von unseren Tellern naschten. Als sie über den Tisch langte, um sich einen Bissen Lachs von meinem Teller zu angeln, rümpfte sie die Nase und kicherte. Mir fiel wieder auf, wie sehr ich ihre Gesellschaft genoß.
»Okay«, sagte ich schließlich. »Nach welcher Erfahrung suchen wir? Wie lautet die Erste
Erkenntnis?«
Sie zögerte, als sei sie sich nicht sicher, wo genau sie anfangen sollte. »Das läßt sich nicht so einfach erklären«, sagte sie. »Der Priester hat es folgender-maßen ausgedrückt. Er sagte: Die Erste Erkenntnis wird wirksam, sobald wir uns der Zufälle in unserem Leben bewußt werden.«
Sie beugte sich vor. »Hast du jemals eine Eingebung oder Ahnung bei irgendeinem Vorhaben gehabt, vielleicht wenn es um eine Veränderung in deinem Leben ging? Dich gefragt, wie genau es funktionieren könnte? Und nachdem du die Sache wieder halb vergessen hattest, führte dich eine Begegnung, irgendein Buch oder ein bestimmter Ort genau zu deinem Ziel.
Im Augenblick häufen sich diese Zufälle, und jedesmal, wenn sie sich ereignen, scheint es uns, als reichten sie weit über unseren Begriff von reinem Zufall oder Glück hinaus. Ein Gefühl der Vorher-bestimmung tritt ein, so als würde unser Leben durch eine unerklärliche Kraft gesteuert. Dieses Erleben hat etwas Geheimnisvolles und Aufregendes, und deshalb fühlen wir uns lebendiger.
Der Priester erklärte, daß wir alle bereits kurze Momente dieser Empfindung hatten und bemüht sind, diesen Zustand festzuhalten. Jeden Tag sind mehr Menschen davon überzeugt, daß diese mysteriösen Gefühlsregungen echt sind, daß sie etwas zu bedeuten haben, daß noch etwas anderes hinter unserem Alltag liegt. Sich dessen voll bewußt zu sein, darin besteht die Erste Erkenntnis.«
Sie blickte mich erwartungsvoll an, doch ich sagte nichts.
»Verstehst du nicht?« fragte sie. »Die Erste Erkenntnis ist eine neue Sicht auf das Geheimnis des menschlichen Lebens. Wir alle unterliegen diesen merkwürdigen Fügungen, und obwohl wir sie noch nicht verstehen, wissen wir doch, daß sie real sind.
Wie damals in unserer Kindheit fühlen wir, daß noch eine andere Seite des Lebens existiert, eine, die es noch zu entdecken gilt - etwas, was sich hinter den Kulissen abspielt.«
Charlene lehnte sich noch weiter vor und gestiku-lierte wild, während sie sprach.
»Du glaubst wirklich daran, nicht wahr?« fragte ich.
»Ich erinnere mich an Zeiten«, sagte sie streng, »in denen du derjenige gewesen wärst, der über derartige Erfahrungen gesprochen hätte.«
Diese Bemerkung traf mich. Sie hatte recht. Es hatte in meinem Leben tatsächlich eine Zeit gegeben, in der ich derartige Fügungen erlebt und sogar versucht hatte, sie psychologisch zu verstehen. Doch irgendwann hatte sich meine Betrachtungsweise ver-
ändert. Aus irgendeinem Grund hatte ich damit begonnen, derartige Betrachtungen für unreif und unrealistisch zu halten, und schließlich ganz aufgehört, sie zur Kenntnis zu nehmen.
Ich blickte Charlene in die Augen und verteidigte mich. »Vermutlich beschäftigte ich mich zu jener Zeit gerade mit östlicher Philosophie oder christlicher Mystik. Wie dem auch sei, das, was du die Erste Erkenntnis nennst, ist bereits tausendfach beschrie ben worden. Was soll jetzt plötzlich neu daran sein? Auf welche Weise kann die Wahrnehmung irgendwelcher geheimnisvoller Begebenheiten zur Transformation der menschlichen Kultur führen?«
Charlene blickte einen Moment lang vor sich auf den Tisch und dann wieder mir in die Augen.
»Versteh mich nicht falsch«, sagte sie. »Dieses Bewußtsein ist natürlich schon vorher erfahren und beschrieben worden. Der Priester wies mich extra darauf hin, daß es sich bei der Ersten Erkenntnis nicht um etwas sonderlich Neues handelt. Er sagte, daß sich einzelne Menschen immer dieser unerklärlichen Fügungen bewußt gewesen seien und daß sie hinter vielen großen philosophischen und religiösen Ansätzen stehen. Der Unterschied besteht in der Häufigkeit ihres Auftretens. Dem Priester zufolge ist jetzt die Zeit für die Transformation gekommen, weil sich immer mehr
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