Die Prophezeiungen von Celestine
die Existenz der Schrift gezeigt?« fragte ich.
»Nein, alles, was ich habe, sind meine Aufzeich-nungen.«
Wir schwiegen wieder.
»Um ehrlich zu sein«, sagte sie, »habe ich gedacht, daß dich diese Sache ein bißchen mehr begeistern würde.«
Ich sah sie an. »Ich schätze, ich brauche einen Beweis dafür, daß das alles wahr ist.«
Sie grinste.
»Weshalb grinst du?« fragte ich.
»Genau das habe ich auch gesagt.«
»Zu wem, dem Priester?«
»Ja.«
»Was hat er geantwortet?«
»Daß die Erfahrung der Beweis ist. Er meint, daß die Aussagen des Manuskriptes nur durch persönliche Erfahrungen gültig werden. Wenn wir wirklich darauf achten, wie wir uns fühlen und wie sich unser Leben zu diesem Zeitpunkt entwickelt, dann werden wir erkennen, daß die Handschrift einen Sinn ergibt, sie uns sogar bekannt vorkommt.« Sie zögerte einen Augenblick. »Geht es dir nicht so?«
Ich überlegte einen Augenblick. Ergab es wirklich einen Sinn? War jeder so rastlos wie ich, und wenn ja, resultierte diese Rastlosigkeit aus der simplen Einsicht - einer simplen Einsicht, die dreißig Jahre gebraucht hatte, um sich mitzuteilen -, daß mehr hinter dem Leben steckt, als wir wahrhaben
wollten, mehr, als wir in der Lage waren zu erfahren?
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte ich schließ-
lich, »vermutlich brauche ich ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken.«
Ich trat hinaus in den Garten neben dem Restaurant und stellte mich hinter eine Bank aus Zedernholz, die vor einem Springbrunnen stand. Rechts von mir sah ich die blinkenden Lichter des Flughafens und hörte die brüllenden Turbinen eines Jets, der sich zum Start bereit machte.
»Was für wunderschöne Blumen«, sagte Charlene von hinten. Ich drehte mich um und sah, wie sie den kleinen Pfad entlang auf mich zukam und da bei die Beete mit Petunien und Begonien bewunderte. Sie stellte sich neben mich, und ich legte ihr meinen Arm um die Schultern. Vor Jahren hatten wir beide in Charlottesville, Virginia, gewohnt und viele Abende mit Gesprächen verbracht. Meistens war es dabei um akademische Theorien oder psychologisches
Wachstum gegangen. Uns hatten diese Gespräche gleichermaßen fasziniert - und wir uns gegenseitig auch. Trotzdem fiel mir mit einem Mal auf, wie platonisch unsere Beziehung immer verlaufen war.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie schön es ist, dich wiederzusehen«, eröffnete sie das Gespräch.
»Geht mir auch so«, gab ich zurück. »Eine Menge Erinnerungen kommen bei mir hoch, wenn ich dich so sehe.«
»Ich frage mich, weshalb wir uns aus den Augen verloren haben«, sagte sie.
Ihre Frage brachte mich wieder auf den Boden der Tatsachen. Ich erinnerte mich, wie ich Charlene das letzte Mal gesehen hatte. Sie hatte mir am Auto auf Wiedersehen gesagt. Damals war ich voller neuer Ideen und Vorsätze gewesen und gerade dabei, meine Heimat zu verlassen, um mit mißhandelten Kindern zu arbeiten. Ich bildete mir ein zu wissen, wie diese Kinder ihre intensiven Reaktionen und ihr obsessives Verhalten, das sie an ihrer Weiterentwicklung hinderte, überwinden konnten. Doch mit der Zeit hatte mein Ansatz versagt, und ich war gezwungen worden, mir meine völlige Unwissenheit
einzugestehen. Auf welche Weise Menschen sich von ihrer Vergangenheit befreien konnten, war mir weiterhin ein Rätsel geblieben.
Blickte ich jetzt auf die letzten sechs Jahre zurück, so merkte ich, daß die Erfahrung sich gelohnt hatte.
Trotzdem war mein innerer Drang, mich weiterzu-bewegen, stärker geworden. Doch wohin sollte ich gehen? Und was tun? Seit Charlene mir geholfen hatte, meine Theorien über Traumata der Kindheit auszuarbeiten, hatte ich nur ein paar Mal an sie gedacht, und jetzt war sie wieder hier, und unsere Unterhaltung schien mir genauso aufregend wie damals in Charlottesville.
»Ich glaube, ich bin vollkommen in meiner Arbeit untergetaucht«, sagte ich,
»Ich auch«, erwiderte sie. »Bei der Zeitung jagte eine Story die nächste. Zwischendurch hatte ich kaum Zeit aufzuschauen. Ich habe alles andere um mich herum vergessen.«
Ich drückte ihr sanft die Schulter. »Weißt du, Charlene, ich hatte völlig vergessen, wie gut wir uns unterhalten können; unsere Gespräche sind so spontan und mühelos.« Ich wollte noch mehr sagen, als Charlene mir plötzlich über die Schulter sah und in Richtung des Restaurants starrte. Ihr Gesicht war bleich, und mit einem Mal wirkte sie nervös.
»Was ist los?« fragte ich und drehte mich ebenfalls um. Ein paar Leute
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