Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
merkwürdig vorgekommen, wenn er sich erhoben und einmal kräftig geschüttelt hätte, um anschließend, als sei nichts gewesen, davonzuschreiten.
Schönlieb ließ den Arm des Toten in das eisige Wasser zurückfallen, sodass es spritzte.
»Pass doch auf!« Wallner wich einen Schritt zurück und schaute ärgerlich auf die kleinen dunklen Wasserflecken auf seiner braunen Stoffhose, die in kniehohen schwarzen Gummistiefeln steckte. »Meine Hose ist gerade frisch aus der … Und so geht man auch nicht mit Toten um.«
Schönlieb schaute ihn schweigend an. Harald Wallner war ein Kriminalhauptkommissar, wie er im Buche steht. Müde Augen, etwas zu dicker Bauch, ein deutlicher Ansatz zur Glatze und viele Falten, die sein Gesicht immer grimmig erscheinen ließen. Vielleicht war es aber auch andersherum, und seine permanent üble Laune war die Ursache für die Falten. Da war sich Schönlieb nicht ganz sicher. Sicher war hingegen: Der Mann war kaputt. Ausgebrannt und völlig überarbeitet. Schönlieb vermutete außerdem, dass Wallner auch gern mal das ein oder andere Glas zu viel trank. Wenn man Wallner nahe kam, was Schönlieb nach Möglichkeit vermied, war da immer dieser scharfe Geruch in der Luft, hinzu kamen die glasigen Augen, die immer so aussahen, als hätte er beim Fahrradfahren zu lange kalten Fahrtwind abbekommen. Dabei konnte man sich Wallner auf einem Fahrrad nun überhaupt nicht vorstellen, eher in so einem Kaffeefahrt-Reisebus zusammen mit zwanzig anderen Omas und Opas. Überhaupt sah Wallner so aus, als ob er morgen in Rente gehen würde, dabei hatte der bestimmt noch zehn Jahre vor sich. Vielleicht zeigte irgendjemand bald Erbarmen, und Wallner würde einen Posten bekommen, bei dem er in einem warmen Büro die letzten Jahre vor sich hin vegetieren durfte. Anstatt sich hier draußen über Wasserspritzer auf seiner Hose aufregen zu müssen. Schönlieb war sich an seinem ersten Arbeitstag sicher gewesen, dass sie nicht lange zusammenarbeiten würden, da Wallner spätestens nach ein paar Monaten an einem Herzinfarkt sterben oder einfach vor Altersschwäche umkippen würde. Jetzt waren es schon zwei lange Jahre. Wallner schaute noch immer grimmig zu Schönlieb und fasste sich plötzlich ans Herz. Jetzt ist es so weit, dachte Schönlieb, doch Wallner holte nur einen Stift und einen Block aus seiner Hemdtasche und fing an zu schreiben.
»Die ersten Hinweise sprechen für Raub mit Todesfolge«, teilte Waller missmutig mit.
»Eher unwahrscheinlich«, sagte Schönlieb und blickte wieder auf die Uhr.
»Ach ja? Neben ihm lag sein offener, leerer Rucksack. Eine Brieftasche gibt es auch nicht.«
»Und die Uhr? Das scheint ein teures Fabrikat zu sein, die lässt der Täter einfach hier?«, fragte Schönlieb. »Wie gesagt: eher unwahrscheinlich.«
Wallner brummte grimmig.
»Wer hat ihn gefunden?«, fragte Schönlieb weiter.
»Ein älteres Ehepaar.«
»Sind sie noch hier?«
»Nein, die sind schon weg, ihre Aussage und die Personalien wurden bereits aufgenommen«, sagte Wallner und ließ dabei seinen Blick über den Campus schweifen. »Die haben den Täter nicht gesehen.«
»Ich glaube nicht, dass er hier getötet wurde«, sagte Schönlieb und blickte sich um. »Viel zu offen diese Stelle.«
»Andererseits schaust du bei dem Schnee weder links noch rechts. Mütze ins Gesicht und schnell nach Hause«, sagte Wallner. »Viel sehen konnte man bei dem Schneetreiben nicht.«
»Und keine weiteren Zeugen?«
»Nein. Wie gesagt, zu dieser Zeit und bei dem Schneegestöber scheinen hier nicht viele Leute langzugehen.«
»Wie kommst du eigentlich darauf, dass es sich bei dem Toten um einen Studenten handelt?«, fragte Schönlieb.
»Na, das ist doch offensichtlich«, antwortete Wallner. »Sieh ihn dir doch an: ganz junger Bursche. Der ist sogar noch jünger als du.«
Schönlieb verdrehte die Augen. Das war keine Antwort, sondern eine Provokation. Wallner kam einfach nicht mit Schönliebs Alter klar. Schon am ersten Tag, als Schönlieb ganz neu im Team der Mordbereitschaft vorgestellt worden war, hatte Wallner sich vor Holding und den beiden Kollegen Coskun und Samson darüber beschwert, so einen jungen, unerfahrenen Kollegen zugewiesen zu bekommen, und dann noch einen, der keine harte Schule durchwandert hatte.
»Nicht alle jungen Männer sind Studenten«, bemerkte Schönlieb knapp und richtete sich auf. »Also?«
»Sieh dich doch einfach mal um«, entgegnete Wallner in einem beinahe schon gönnerhaften Tonfall. »Wir
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