Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
schneller. Das Auto fuhr auf die Ausfahrt zu, Schönlieb überholte links, machte dann eine Vollbremsung, sein Hinterrad schlug aus, diesmal schaffte er es nicht, das Gleichgewicht zu halten, und das Rad rutschte unter ihm weg. Er schlug auf dem Boden auf und blieb quer vor dem Mercedes liegen, rappelte sich auf, ging auf den Mercedes zu und schlug mit der flachen Hand auf die Motorhaube.
»Du hast gelogen, Marie! Du hast verdammt noch mal gelogen!«
Das Fenster der Fahrerseite wurde hinuntergefahren, und Maries Vater blickte Schönlieb wütend an.
»Sie! Was fällt Ihnen ein!«
Gleichzeitig ging die Beifahrertür auf, und Marie wankte kreidebleich aus dem Auto. Ihr Vater rief ihr hinterher. Doch Marie hörte ihn nicht, entsetzt schaute sie einen kurzen Augenblick zu Schönlieb, dann fiel sie auf die Knie und kotzte.
Kapitel 48
Schönlieb nahm einen kräftigen Schluck aus der kleinen braunen Astra-Flasche. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht. Er stand an der Spitze des kleinen gelben Schiffes und genoss, wie die Haare an seiner Kopfhaut zogen und er sich gegen den Wind stemmen musste. Die Lichter des Hafens. Das Glitzern der Lichter im unruhigen Hafenwasser. Oft bedurfte es nur eines kleinen Auslösers, eines Ziehens an der richtigen Stelle, und ein ganzes Kartenhaus fiel in sich zusammen. Genauso war es mit Menschen.
Marie war gebrochen gewesen. Nachdem er sie nach ihrem Zusammenbruch im Krankenhaus aufgesucht hatte, hatte sie alles erzählt. Ohne dass er auch nur ein Wort hatte sagen müssen. Nicht Benjamin war es gewesen, der Huynh den Schlag auf den Kopf versetzt hatte, sondern sie – Marie. Sie hatte sich mit Huynh gestritten, entsetzlich gestritten, weil er sie auf den Bildern entdeckt hatte. Er hatte gesehen, wie Marie Meininger oral befriedigt hatte. Sie hatte nicht genügend Scheine für das Bestehen der Zwischenprüfung gehabt. Sie hätte das Studium aufgeben müssen. Meininger hatte sich immer gezielt die herausgesucht, die am Abgrund standen. Entweder sie gingen auf seine Forderungen ein, oder das Studium war beendet. Für Marie wäre es das Schlimmste gewesen, was sie sich vorstellen konnte. Was hätte ihr Vater gesagt? Huynh war entsetzt gewesen, völlig verstört. Er hatte ihr eine Backpfeife gegeben. Ich habe ihn nur abwehren wollen, da habe ich mit dem Buch zugeschlagen. Ich liebe ihn doch. Ich wollte ihm nicht wehtun. Wehtun war nicht ganz das richtige Wort. Marie hatte weitererzählt, dass plötzlich, als Huynh vor ihr leblos gelegen hatte, Benjamin aufgetaucht war. Sie hatte ihn vorher gar nicht richtig gekannt. Er hatte auf sie eingeredet. Das alles sei Schicksal. Er würde sie schon so lange beobachten. Er könne ihr helfen. Alles käme in Ordnung. Sie müssten die Leiche ins Wasser zerren. In ihrer Panik hatte sie auf ihn gehört. Nichts kam in Ordnung. Was hatte sie sich gequält! Doch sie konnte es niemandem erzählen. Sie hatte Huynh einfach ins Wasser gezogen, ihn tot zurückgelassen und war mit dem weißen Mercedes, den sie sich oft von ihrem Vater auslieh, nach Hause gerast. Ich hatte etwas so Schreckliches getan, dass es mir unwirklich vorkam, ich habe versucht, es selbst zu vergessen, zu verdrängen, so gut ich konnte . Benjamin hat die Bilder von ihr gelöscht. Als Schönlieb die beiden auf dem Parkplatz gesehen hatte, da hatte sie ihn gebeten, ihr die Bilder von Huynh und ihr, die sich auf dem Laptop befanden, auf einem USB-Stick gespeichert zu übergeben. Sie wollte diese Bilder, weil sie die schöne Zeit mit Huynh zeigten, die Zeit, die sie zurückhaben wollte. Weil er nicht mehr war. Doch Benjamin hatte nur gesagt, es gebe keine Bilder mehr. Huynh sei nicht länger für sie da. Er sei jetzt für sie da. Sie hatte ihn aus dem Auto geschmissen und begriffen, dass sie für immer allein sein würde.
Schönlieb nahm den letzten Schluck aus der Flasche. Ihm war danach, die Flasche ins Wasser zu werfen, nur damit er etwas werfen konnte, voller Kraft, voller Frust. Er hatte nicht das Gefühl, dass die Welt dadurch, dass er den Fall abgeschlossen hatte, besser wurde. Das ganze Ende des Falles befriedigte ihn nicht im Geringsten, und das hasste er.
Und Wallner war immer noch nicht zurück. Im Büro wurde gemunkelt, er komme nicht mehr zurück. Man sagte, er habe einen totalen Alkoholabsturz gehabt und sei in einer Klinik gelandet. Schönlieb vermisste ihn etwas, dieses Gefühl fand er schrecklich.
Das gelbe Boot kam zum Stehen. Die in feine Anzüge und Kleider gezwängten
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