Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
leid …«, sagte er gerade.
Als er Schönlieb sah, blickte er kurz erschreckt auf, zischte schnell »Ich muss jetzt Schluss machen« und legte auf.
Schönlieb tat so, als interessiere ihn nicht, mit wem Wallner gesprochen hatte.
»Und, gibt es etwas Neues?«
»Nein«, antwortete Wallner schroff und stampfte aus dem Büro. »Ich hole mir erst mal einen Kaffee.«
Das Einzige, was sich in dieser Nacht noch tat, war, dass Schönlieb nach und nach ein Kratzen im Hals bemerkte und seine Nase anfing zu laufen.
Um 7:00 Uhr schlief er für eineinhalb Stunden auf seinem Schreibtisch ein.
Als er aufwachte, schreckte er hoch. Kurz musste er sich orientieren.
Den Schrecken perfekt machte Wallners verächtliches Gesicht, es sah aus, als hätte Wallner die ganze Zeit dort gestanden und ihn beobachtet, nur darauf wartend, ihm direkt nach dem Aufwachen einen Schrecken einzujagen. »Ich dachte, ihr jungen Leute braucht nicht so viel Schlaf.«
»Das war andersherum: Alte Leute brauchen nicht so viel Schlaf«, antwortete Schönlieb und rieb sich die Augen.
»Kalle hat gerade angerufen. Fahr am besten gleich zu ihm. Ich gehe einem Hinweis zur Identität des Opfers nach. Wir sehen uns danach wieder im Büro.« Und schon war er wieder weg.
Wie Schönlieb es hasste, dass Wallner ihn ständig herumkommandierte.
Kapitel 4
Das Reich von Karl-Heinz Petersen, den alle nur »Kalle« nannten, befand sich in einem nüchternen Gebäude am Rande des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. In dem Raum, in dem Schönlieb und Kalle jetzt standen, schien es außer dem Weiß der Fliesen und dem Silber von Edelstahl keine weiteren Farben zu geben. Abgesehen vielleicht von Kalles roter Nase, die aus seinem bärtigen Gesicht glänzend hervorstach. Der gestandene Rechtsmediziner war ein freundlicher, ruhiger Mann, der nie hektisch wirkte. Die Art, wie sich der große, dicke Kerl bewegte, erinnerte Schönlieb jedes Mal unweigerlich an Samson aus der Sesamstraße .
»Wir haben heute noch zwei Untersuchungen, und um drei würde ich gerne in die Kneipe«, sagte Kalle und schaute Schönlieb grinsend an. »HSV gucken. Also lass uns nicht trödeln.« Müdigkeit schien Kalle nicht zu kennen.
»Na dann, leg mal los«, sagte Schönlieb und folgte Kalle in einen langen Flur, an dessen linker Wand sich eine Tür an die nächste reihte. Die Kühlfächer.
»Wir wollen ja nicht, dass du die Niederlage vom HSV verpasst.«
Kalle ignorierte die Spitze von Schönlieb, ging auf die Tür mit der Nummer 14 zu und drehte den dicken schwarzen Griff nach rechts. Schönlieb trat einen Schritt zurück, während Kalle die Tür öffnete und eine fahrbare Bahre herausschob, auf der ein toter Körper unter einem dünnen hellblauen Laken verborgen lag. Kalle zog das Laken zurück, und zum Vorschein kam der tote Junge von gestern. Diesmal nackt. Über den Körper zogen sich drei lange Einschnitte, von denen zwei von den Schultern bis zum unteren Ende des Brustbeins und einer exakt mittig über den Bauchraum führten. An einer Stelle trafen alle drei Einschnitte aufeinander. Es sah aus, als hätte jemand dem Toten ein riesengroßes Y in den Körper geschnitten. Da konnte er so oft hier unten sein, wie er wollte, daran konnte sich Schönlieb nicht gewöhnen, an diesen Anblick. Wenn er die Toten am Tatort sah, hatte er komischerweise nie Probleme mit den Leichen gehabt. Aber hier in dieser klinisch nüchternen Atmosphäre, aufgeschnitten und zugenäht, konnte er sie kaum ertragen. Schönlieb versuchte seinen Blick nun auf Kalle zu lenken und möglichst nicht auf den Toten.
»Und, schon etwas herausgefunden?«
»Lange lag er nicht im Wasser, sonst hätte er ganz anders ausgesehen, unappetitlicher. Das kalte Wasser hat ihn sogar eher noch frisch gehalten, anhand der Körpertemperatur, die vor Ort gemessen wurde, und der Todesflecken schätze ich, dass er keine zwei Stunden dort lag. Bei dem kalten Wasser und der kalten Umgebung ist es allerdings schwer, das genau einzuschätzen. Die Kälte verlangsamt alle Prozesse.«
Kalle schüttelte leicht den Kopf, als könne er nicht glauben, dass die Natur ihm seine Arbeit immer so schwer machte.
»Ich habe aufgrund der Kälte nicht einmal ein Anzeichen für eine Totenstarre gefunden.«
»Keine zwei Stunden«, murmelte Schönlieb vor sich hin, er blickte auf. »Und wie ist er gestorben?«
»Durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Hinterkopf.«
»Er wurde also von hinten attackiert?«, fragte Schönlieb und griff schnell in seine
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