Die Pubertistin - eine Herausforderung
kommen.
Warum, denke ich, soll es der Pubertistin besser gehen? Auch ich bin in einem ganz ähnlichen Vorort aufgewachsen, auch ich musste in ihrem Alter um zehn daheim sein, aufbrechen, wenn der von mir heimlich angeschmachtete Junge mich endlich wahrgenommen hatte. Logisch, dass ich ständig zu spät zu Hause angekommen bin, oder? Ich beschließe, Milde walten zu lassen. Im Gegensatz zu meinen Eltern,werde ich nicht mit der Stoppuhr in der Haustür stehen, eine Viertelstunde Verspätung will ich ihr gern nachsehen ...
Am Freitagabend, die Pubertistin ist mit unserer Monatskarte seit Stunden auf der Piste, gucken der Vater und ich einen Krimi. Als der Abspann über den Bildschirm flimmert, geht die Haustür. Die Pubertistin ist zurück, sagenhafte fünfzehn Minuten zu früh. Verschwitzt vom Fahrradfahren steht sie im Zimmer: Bin ich zu spät?, japst sie. Ich stehe auf und nehme sie in den Arm. Ich bin erstaunt und gerührt, dass mein Wort ein solches Gewicht hat, dass dieser Kleinmensch pfeilschnell durch die Nacht angezischt kommt, nur damit ich mich nicht über sie ärgere. Sie muss doch keine Angst vor mir haben. Aber sagen, sagen werd ich ihr das natürlich nicht.
In diesem Schuljahr nämlich, das gerade begonnen hat, wird das Kind die zehnte Klasse absolvieren, am Ende muss sie sich sogar prüfen lassen. Für sie eine völlig ungewohnte Situation. In den vergangenen neun Jahren wurde alles, was auf Abruf von schulischen Leistungen abzielen würde, recht klein gehalten. Dafür hatte ich Verständnis – jedenfalls aus Sicht ihrer Korrektur lesenden Lehrerinnen und Lehrer. Aber jetzt – wumm! – wird’s ernst, und der hoffnungsvolle Nachwuchs soll aus dem Stand mal eben flott Motivation, Konzentration und Leistungsbereitschaft zeigen. Geht schon klar, das sollte sie hinkriegen.
Leider geht gar nichts klar. Der Klassenlehrer der Pubertistin, ein freundlicher Mittdreißiger aus der nahen Hauptstadt, teilt uns dreißig Müttern und den zwei Überraschungsvätern erst mal mit, wo überall es in diesem Schuljahr hakt. Zusätzliche Förderstunden – nicht mit ihm (und die Kollegen haben auch schon abgewunken). Lerngruppen – müssen die Schüler schön selbst organisieren. Elternstammtisch, zu dem er auch kommen soll – och nee!
Folgendes wiederum soll klargehen: Bitte mal zahlreich für die Fachkonferenzen melden! Fünf Euromehr Kopiergeld für Arbeitsblätter! Und jetzt Freiwillige vor für die Wahl zur Elternvertretung!
Es ist Jahr für Jahr dasselbe Elend. Vor uns steht ein Diplompädagoge, der seinen gewerkschaftlich festgelegten Feierabend sehr genau nimmt. Wir Eltern, die durchaus gern wissen würden, wie es um unsere Kinder steht und was wir zum Gelingen dieses Schuljahres beitragen könnten, sollen die Schule einfach mal machen lassen. Geht es um Vergleichbarkeit von Leistungen oder Gruppendynamik – also Zensuren oder die drei Dopedealer der Klasse –, gilt seitens der Schule vollumfänglich der Datenschutz. Und von unseren Kindern selbst erfahren wir daheim nichts, was von Belang wäre – die fühlen sich seit Inkrafttreten der Pubertätsgesetze nicht mehr verpflichtet, mit ihren Eltern in den Generationendialog zu treten.
Lustig sind die Ein-Kind-Eltern unter uns. Sie glauben immer noch daran, die schulischen Gesetzmäßigkeiten von innen heraus, also durch Mitwirkung verändern zu können. Wir anderen, die wir schon die Geschwister unserer Abitursanwärter durchgebracht haben, sehen das gern: Die freuen sich, weilsie sich gebraucht fühlen, und wir sind froh, nicht schon wieder mit jener eindrucksvollen, krass berlinernden Deutschlehrerin über die Bewertungskriterien der letzten Klassenarbeit diskutieren zu müssen. Die Frau ist mir noch vom letzten Schuljahr präsent. Da hat sie nach einer miserabel ausgefallenen Leistungskontrolle ihren Schülern empfohlen, ihre Hausaufgaben nicht immer zwischen Arschabwischen und Spülungdrücken zu machen. Das scheint für sie der Ton zu sein, in dem man mit Abhängigen kommuniziert.
Derlei Vorkommnisse, teilt uns der freundliche Klassenlehrer mit der strikt begrenzten Arbeitszeit mit, seien in diesem Schuljahr ausgeschlossen, die Kollegin sei krank, seit ... ja, Mai müsste es sein. Die Diagnose sei besorgniserregend, aber derweil sie krankgeschrieben sei – man wisse nicht, wie lange, Datenschutz! –, schicke das Schulamt auch keinen Ersatz.
Das, meldet sich eine Mutter, sei bedauerlich, sie wünsche der
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