Die Puppe an der Decke
halben Finger abgeschnitten hatte. Und sie dachte an Leo, das kleine Spanferkel, wie leicht sie ihm eine Freude machen konnte. Sie öffnete die Luke, zog die Handschuhe aus und setzte sich darauf. Hier kannst du jetzt sitzen, dachte sie. Hier zusammen mit Mutter in der Dunkelheit sitzen. Böser Junge! Sie hatte sich in seinem Schlafzimmer ausgezogen, war ganz nackt gewesen, und dann hatte sie ihn geküsst und seine Haare zerzaust. Danach hatte sie ihre eigenen Kleider angezogen und war gegangen. Wenn sie jetzt den Kopf in den Nacken legte, konnte sie sehen, dass der Schlüssel nicht mehr am Nagel hing.
Sie zog ihr Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer.
Nina meldete sich sofort. Sie weinte, aber das war ja nur natürlich. »Ich habe alles so gemacht, wie du gesagt hast«, sagte sie. »Ich bin im Haus. Herrgott, kannst du nicht kommen? Wo bist du gerade?«
Tja.
»Stell schon mal Teewasser auf, ja? Ich bin total durchgefroren. Ich friere ganz schrecklich. Ich kann jeden Moment zu Hause sein.«
»Wir haben …«
»Das weiß ich alles, Nina. Ich habe doch auch Post bekommen. Wo ist Niels Petter?«
»Das weiß ich nicht. Er hat das Auto genommen. Plötzlich war er weg.«
Wenn etwas sein sollte, dann hängt der Schlüssel unter der Kellerluke. Das Mobiltelefon. Ich schalte es aus und dann vergesse ich es. Wenn etwas passiert, dann findest du den Reserveschlüssel an einem Nagel unter der Kellerluke.
Jeden Moment zu Hause? Sie steckte das Telefon wieder in die Jackentasche und hatte das Gefühl, einen falschen Schritt gemacht zu haben.
Hatte sie einfach abgeschaltet?
»Das weiß ich alles …« In ihrem Kopf hallte ihre eigene Stimme noch wider. Ihr war schlecht, sie spuckte zähen Schleim aus, mehr kam aber nicht. Zwischen ihr und Nina lag das leere Erdgeschoss, und sie spürte, wie die andere dort oben irgendwo ruhelos hin und her lief. Hin und her. Die Puppe an ihrer Schnur, die sich in der Frühlingsluft immer wieder drehte. Die Gummihandschuhe? Fortgeworfen. Weg mit den Gummihandschuhen, ein Abfallkorb auf dem Weg hinaus zu Leo.
Vorsichtig zog sie die Luke hinter sich zu. Dann ging sie um das Haus herum und schloss die Tür auf. Seltsam. Auf der Treppe zum ersten Stock wurde sie eine andere und sah sich so, wie sie sich sehen wollte, empört, weil anderen so mitgespielt wurde. Nina saß im Sessel vor dem kalten Kamin. Das Licht der Schreibtischlampe umhüllte ihren Kopf wie ein Heiligenschein. Sie drehte sich um, als Rebekka das Zimmer betrat, jetzt weinte sie wieder. Der Junge bei den Großeltern … ihr Bruder hatte … Niels Petter verschwunden … ihr Mann angeschwärzt als … Herrgott, die Leute hatten schon angerufen, als sie den verdammten Brief selbst noch gar nicht gelesen hatte, und dazu eine Journalistin von der Lokalzeitung …, Niels Petter und … Kinder! Kleine Jungen!
Alles wild durcheinander.
»Habt ihr schon mit der Polizei gesprochen?«
Nina schüttelte den Kopf. »Ich habe einfach keine Kraft. Bin total kaputt.«
Rebekka ging in die Hocke und nahm Ninas Hand, und dann brach alles aus ihr heraus, jetzt musste Nina sich zusammenreißen, jetzt musste sie die Polizei verständigen, dieser ganze Blödsinn darüber, dass jetzt jemand irgendwo dort draußen, jemand dort draußen, seinen Willen bekam, o verdammt, jetzt setzte jemand seinen Willen durch, und was hatte eigentlich diese Journalistin gesagt?
»Sie hat gesagt, dass unter der angegebenen Adresse keine Siri Ljoen gemeldet ist. Dass in der ganzen Gemeinde keine Frau dieses Namens lebt. Aber das wussten wir schon. Ich meine, wir hatten natürlich im Telefonbuch nachgesehen. Und die Auskunft angerufen.«
»Sonst nichts?«
»Sie wollte einen Kommentar von Niels Petter, aber ich habe gesagt, der sei nicht zu Hause. Das stimmte ja fast, er stand schon im Mantel in der Diele.«
»Und dann ist er einfach gefahren?«
»Er kam mir vor wie gelähmt. Ich glaube, er musste sich nur sammeln. Er hat nichts mitgenommen. Das macht er oft so, wenn er unter Stress steht. Fährt ein paar Stunden durch die Gegend.«
»Verflixt, hat er nicht einmal sein Telefon mitgenommen?«
»Doch. Aber ich erreiche nur den Anrufbeantworter. Glaubst du … kann er dorthin gefahren sein?«
»Die Journalistin hat Recht, Nina. Siri Ljoen gibt es nicht!«
»Aber die Adresse?«
Sie sagten nichts. Zweimal versuchte Nina Niels Petter mit Rebekkas Telefon anzurufen, und beide konnten die metallische Frauenstimme des Anrufbeantworters hören. Rebekka sah ihn vor
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