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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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sich. Einsam und wütend, in irgendeinem Auto, an irgendeinem Ort. Und sie dachte an die Journalistin der Lokalpresse. Hatte sie die gerichtlichen Unterlagen wohl schon ausgebuddelt? Die echten Unterlagen? Wenn nicht, dann würde sie sie in die richtige Richtung schieben. Langsam, aber sicher. Und wenn die Gerüchte über Siri Ljoens letzte Unternehmung schon bis Oslo durchgedrungen waren, dann würde die Sache dort zuerst hochgehen. Zuerst dort und mit Auswirkungen auf das ganze Land, ganz einfach umwerfend großartig. Der unschuldige Schuldige, ein Drama in Schwarzweiß, das außer ihr selbst kein Mensch begreifen würde. Er würde nicht in die Idylle im Stjernesti zurückkehren können, aber zurückkehren musste er, Idylle oder nicht.
    »Er hat gesessen«, sagte Nina plötzlich. »Und jetzt kommt der alte Dreck wieder hoch.«
    Nina musterte sie überrascht. Für eine Sekunde empfand sie es als befreiend, dass sie kein Schauspiel spielen musste.
    »Es ging um Finanzdinge«, sagte Nina. »Er hat mir alles erklärt, aber ich kenne mich mit so was nicht aus.«
    »Immer mit der Ruhe«, hörte sie sich sagen, und wieder lag ein Echo in ihrer Stimme. »Es haben schon viele anständige Leute gesessen.«
    »Da sagst du was Wahres … das war gegen Ende der Yuppiezeit. Und er gehörte zu denen, die wirklich Erfolg hatten.«
    Rebekka lächelte. »Ein geplatzter Goldkreislauf? Dabei sind oft die Ehrlichsten hinter Gittern gelandet, Nina.«
    »Er sagt, das sei alles ein einziges großes Missverständnis gewesen.«
    Ja. Das hatte er gesagt. Dass das Ganze ein einziges großes Missverständnis sei. Er begriff rein gar nichts von dem, was diese Frauenzimmer sich da aus den Fingern gesogen hatten, um ihn anzuschwärzen. Wo sein altes Schlüsselbund geblieben sei? Das habe er verloren. Es habe ihm großes Kopfzerbrechen gemacht, er hatte zu Hause und im Büro die Schlösser auswechseln lassen müssen, und mit diesem Mann vögelst du, du Nutte! Sie war jetzt wütend, das merkte sie. Lächelnd und wütend, und misch dich da jetzt nicht ein, Nina, schau, hier liegt meine Hand auf deinem Knie.
    Sie fuhren schweigend weiter. Rebekka begriff, dass Nina sie in ein Zimmer eingelassen hatte, in dem sie bisher hatte allein sein müssen. In ein dunkles Zimmer voller finanzieller Unreinlichkeiten, die Nina nicht begriff, aber er war ihr gegenüber doch so ehrlich gewesen, dass er ihr das Zimmer gezeigt hatte, als sie beschlossen hatten, zusammen alt zu werden. Jetzt, wo ein Kind unterwegs war und alles zwischen ihnen ernst und schön werden würde. Nina? Ich muss dir etwas sagen. Setz dich bitte. Dann hatte er es gesagt. Dass irgendwer seine Buchführung dermaßen missverstanden hatte, dass er zu etwas mehr als zwei Jahren verurteilt worden war. Er wollte nicht, dass dieser alte Dreck nachts zwischen ihnen lag. Und er musste es ja zugeben. Er war ein Wirrkopf gewesen. Er hätte besser aufpassen müssen, statt allem seinen Lauf zu lassen. Er konnte die anderen verstehen, so ungerecht die Sache auch gewesen war.
    So ungefähr. Er hatte wirklich mit heruntergelassener Hose dagestanden.
    Rebekka musste sich zusammenreißen, um nicht loszuprusten.
    Sie erreichen Sanden. Drei Höfe draußen bei Felsen und Meer. Knapp zwei Dutzend Einfamilienhäuser um eine Straßenkreuzung. Das unschöne Gebäude von »Lagro«, einem Großmarkt für Gartenartikel. Es ist dunkel und still. Nina wird nervös, sie will das nicht, sie will nach Hause. Und wie soll sie in einem Ort wie Sanden überhaupt Nr. 12 finden? Das hier ist pechschwarzes Bauernland, keine Vorortstraße.
    Rebekka ist ganz ihrer Meinung. Es ist mitten in der Nacht, der Morgen naht. Sie hält vor dem Großmarkt und registriert zugleich die sehr gut sichtbare Nr. 10 an der Wand neben dem Eingang.
    »Lass uns eine Runde drehen, ehe wir zurückfahren. Das Haus muss doch gleich in der Nähe liegen. Wenn es überhaupt existiert.«
    »Und das glaubst du nicht.«
    »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich glauben soll.«
    Ein schmaler Kiesweg führt zum Meer hinunter. Sie geht weiter und denkt an Leo, der irgendwo auf dem anderen Fjordufer sitzt, im scharfen Geruch von Terpentin, Tabak und Schweiß. Untätig. In diesem Bild, das von ihm auftaucht, sitzt er ganz still in dem fleckigen Sessel am Fenster. Er scheint auf etwas zu warten, vielleicht auf jemanden.
    Auf halbem Weg zum Strand liegen zwei altmodische Sommerhäuser im Schutz des vom Wind gebeutelten Waldes. Nirgendwo ist ein Zeichen von Leben zu

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