Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
in dem verglasten Kontrollraum warten der Supervisor der Klinik-Security und der Leiter der Pflegedienstabteilung, ein Typ im Anzug, der ihr als AJ LeGrande vorgestellt wird.
LeGrande sieht gut aus, und er ist sehr nett – das sieht Flea sofort. Er ist gutmütig und freundlich und total überfordert. Er läuft im Raum auf und ab, schlenkert mit den Armen, klatscht ab und zu in die Hände und wirft einen Blick auf den Monitor. Der Bildschirm zeigt ein unveränderliches, grau schraffiertes Muster. Der Geiselnehmer – Isaac Handel – hat das Objektiv mit Isolierband beklebt. Inzwischen ist eine Dreiviertelstunde vergangen, und niemand weiß, was da drin vorgeht.
»Meinen Sie nicht, Sie sollten sich mal hinsetzen?«, sagt Flea leise, als AJ nah genug an sie herankommt. »Sie sehen nicht besonders gut aus – nehmen Sie’s mir nicht übel.«
Er sieht sie an. Seine Augen sind dunkelbraun.
»Nein«, sagt er. »Trotzdem danke.«
Hier steckt mehr dahinter, als man auf den ersten Blick sieht. Für ihn geht es um etwas Persönliches – vielleicht hat es etwas mit der weiblichen Geisel zu tun, die da in dem Raum festgehalten wird. Unwillkürlich richtet Flea den Blick auf den Monitor mit dem grauen Raster. AJ sieht sofort, wie sie reagiert.
»Ich weiß«, sagt er. »Furchtbar, nicht wahr? Ich würde alles lieber sehen als das.«
»Alles?«
»Mein Gott, ja. Ich weiß, wenn das hier zu Ende geht, ist die Büchse der Pandora offen, aber es führt ja kein Weg dran vorbei.«
Zwei Verhandlungsspezialisten sind eingetroffen. Der eine kommt aus London – der Ranghöhere der beiden –, die zweite Person stammt aus der Region. Sie wird Flea als Linda vorgestellt. Sie hat den Auftrag, die Verhandlung zu führen, und sie begrüßt alle mit einem kompetenten Händedruck, der sagt: Okay, entspannt euch, ich habe alles im Griff. Sie ist klein, Mitte dreißig, mit kastanienbraunem Haar. Sie trägt Jeans und eine lange, gestreifte Strickjacke, deren Ärmel sie sich ständig über die Hände zieht, als wäre ihr kalt.
Alle sechs stecken die Köpfe zusammen und erörtern ihre Strategie. Als Flea an der Reihe ist, erklärt sie, wie lange sie für einen gewaltsamen Zutritt in das Absonderungszimmer benötigen wird. »Aber«, fährt sie fort und schaut Linda an, »ich hoffe, das bleibt unsere letzte Option.«
»Selbstverständlich. Und hören Sie, Sergeant, was immer jetzt unternommen wird, um diesen Raum unter Kontrolle zu bringen – sagen Sie es mir bitte nicht! Wenn der Commander entscheidet, dass Sie reingehen müssen, tun Sie es einfach, und informieren Sie mich nicht vorher. Wenn ich weiß, dass das Team gleich stürmen wird, hört man es an meiner Stimme. So etwas kann die Gesprächsbasis zwischen uns augenblicklich zerstören. Es ist besser, ich weiß nichts.«
»Gehört?«, fragt der Commander in die Runde. »Sämtliche Gespräche zur Taktik bleiben in diesem Raum. Und reduzieren Sie die Lautstärke auf ein Minimum.«
»Ich möchte auch gern mit ihnen sprechen können«, sagt AJ plötzlich. »Wäre das möglich?«
Linda wirft dem Commander einen zweifelnden Blick zu. »Ein dritter Beteiligter? Spricht nichts dagegen, wenn es eine Funktion für ihn gibt.«
»Und?«, fragt der Commander und sieht AJ an. »Gibt es eine Funktion für Sie?«
»Auf jeden Fall. Ich bin hier der ranghöchste Mitarbeiter, und ich kenne die Klinik in- und auswendig. Ich bin seit vier Jahren hier und kannte Isaac von Anfang an. Ich kenne ihn gut – wirklich gut. Er täuscht, ist nicht immer geradeheraus.«
Linda mustert AJ. »Äh, Sir«, sagt sie dann zu dem Commander, ohne AJ aus den Augen zu lassen, »ich habe keinen Widerspruch, aber er muss ordnungsgemäß gebrieft werden, und selbstverständlich verlange ich den Vortritt.«
»Sie ist die Chefin«, sagt der Commander. »Wenn sie Ihren Input braucht, wird sie darum bitten. Haben Sie verstanden?«
»Ja.«
Im Kontrollraum fängt der leitende Verhandler an, einen Arbeitsplatz für Linda einzurichten, und arrangiert Laptop, Mikrofon und Notizblock. Flea steht im Aufenthaltsraum und hält ihr Funkgerät einsatzbereit in der Hand. Sowie der »Silver Commander« ihr zunickt, wird sie den Einsatzbefehl an Wellard auf der Station Myrte weitergeben. Linda redet streng auf LeGrande ein und spult eine lange Liste dessen ab, was er sagen und was er nicht sagen darf. In jedem Fall braucht er das Okay von ihr oder dem leitenden Unterhändler. Alle ziehen sich jetzt in den Aufenthaltsraum zurück und
Weitere Kostenlose Bücher