Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
verschiedenen Kameras. Oben links in der Ecke werden die verstreichenden Sekunden angezeigt. Handel stößt Melanie weg vom Wagen. Sie kommen unter einer Lampe vorbei, und einen Moment lang kann AJ im grellen Licht ihre Gesichtszüge sehen. Dann verschwinden sie wieder aus dem Bild.
Eine zweite Kamera erfasst sie jetzt; es ist die, die im Korridor am Empfang hängt. Ein Wachmann ist von hinten zu sehen. Er steht langsam auf und begreift nicht, was da draußen passiert. Dann steht Isaac Handel an der Tür und hämmert dagegen. Der Wachmann scheint zu erstarren. Er drückt auf den Panikschalter unter seinem Tisch – aber wenige Augenblicke später öffnet er die Tür und lässt Handel in die Sicherheitsschleuse treten.
»Sie hat ihn angewiesen zu tun, was Handel sagt. Darum hat mein Mitarbeiter sie durchgelassen. Jetzt tritt er sich dafür selbst in den Hintern.«
AJ seufzt. »Okay, lassen Sie uns den Rest ansehen.«
Die Aufnahme springt zur Perspektive einer anderen Kamera. Diesmal ist es der lange, schmale Korridor – der »Stiel«, der in den Klinikbereich führt. Die beiden gehen durch den Schleusenbereich, und diesmal sieht man deutlich, wie Melanie der Kamera eine klare Anweisung gibt: »Lassen Sie uns durch«, formt sie mit dem Mund. Ihr Gesicht wirkt gespenstisch und resigniert, und sie hat Schatten unter den Wangenknochen. »Tun Sie, was er sagt.«
Die nächste Kamera, die sie erfasst, ist die auf Station Myrte. Dem Zeitstempel ist zu entnehmen, dass das, was er sieht, vor zehn Minuten geschehen ist. Handel schiebt Melanie vor sich her, und als sie unter der Kamera durchsehen, sieht man deutlich die Klinge, die er benutzt, um sie zu bedrohen. Er stößt sie in den Absonderungsraum der Station. Der Supervisor schaltet auf die Kamera in dem Raum, als die beiden eintreten, Melanie zuerst, Handel hinter ihr.
Die Zelle ist völlig leer. Handel zeigt auf den Boden.
»Hinsetzen«, scheint er zu sagen.
Zitternd gehorcht sie und hockt sich auf die Fersen. Handel dreht sich zur Tür und wühlt etwas aus seiner Sporttasche. Man hört ein elektrisches Werkzeug, aber er ist zu nah an der Tür, und die Kamera kann nicht erfassen, was er tut.
Melanie sagt etwas. Im Raum sind Mikrofone, doch sie spricht zu leise. Sie hat zu viel Angst, um verständlich zu sprechen.
Handel antwortet ihr nicht. Er stellt seine Sporttasche ab, richtet sich wieder auf und schaut direkt in die Kamera. Er weiß, dass sie da ist, denn er ist als Patient schon in diesem Raum gewesen. Tatsächlich kennt er die Klinik wie seine Westentasche. Er nimmt ein langstieliges Werkzeug aus seiner Tasche und legt einen Streifen Isolierband auf das Ende. Sorgfältig, mit der Zunge zwischen den Zähnen, drückt er den Klebstreifen mit dem Werkzeug auf das Objektiv der Kamera unter der Decke. Der Bildschirm wird grau, und man sieht nur noch das segeltuchartige Gewebe des Isolierbands.
»Was machen Sie da?«, fragt Melanie, und jetzt ist sie deutlich zu verstehen. »Warum tun Sie das?«
»Die brauchen uns nicht zu sehen.«
»Warum nicht?« Melanies Stimme klingt angespannt. »Was haben Sie vor?«
Handel gibt keine Antwort. Man hört, dass Leute an die Tür klopfen.
»Verpisst euch«, sagt er in gleichmütigem Ton. »Stört mich nicht.«
Melanie fängt an zu weinen. Einige Sekunden später bricht der Ton ab. Handel hat offenbar eine Möglichkeit gefunden, das Mikrofon abzudecken, denn von jetzt an sind alle Geräusche gedämpft. Wenn man die Lautstärke sehr hoch dreht, kann man undeutlich etwas hören, aber zu verstehen ist nichts mehr.
»Das alles war, keine Ahnung …« Big Lurch sieht auf die Uhr. »Vor fünf Minuten. Wir haben überlegt, ob wir den Strom in dem Zimmer abschalten sollen.«
»Noch nicht. Wir wollen sehen können, wann er den Klebstreifen abmacht. Was will er?«
»Hat er nicht gesagt.«
»Und wann kommt die Polizei?«
Big Lurch antwortet nicht. AJ dreht sich um und funkelt erst ihn an, dann den Supervisor. »Bitte sagt, dass ihr die Polizei gerufen habt.«
»Wir waren nicht sicher …« Der Supervisor spricht nicht weiter. Sogar Big Lurch findet etwas, das er anstarren kann, statt AJ ins Gesicht zu sehen.
AJ schüttelt den Kopf. Das muss die Strafe für das sein, was er getan hat. Er hat Melanie solche Vorwürfe gemacht, weil sie Isaac zur Entlassung verholfen hat. Sie hat seine Unterstützung gebraucht, aber er hat sie ihr nicht gegeben, und jetzt sitzt sie tief in der Scheiße, und er kann nichts daran ändern.
»Okay«,
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