Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
dass ich bei dir bin . Die andere ist der Sergeant des Unterstützungsteams, eine Frau mit drahtigen blonden Haaren und sehr blauen Augen. Sie trägt Einsatzkleidung, eine schusssichere Weste, die von Ausrüstungsgegenständen und Funkgeräten starrt, ist jedoch empfindsam genug, um es zu bemerken. Er spürt ihren Blick. Sie weiß Bescheid.
Auf dem Monitor sind Männer in schwarzen Uniformen mit Schutzwesten dabei, an Türen zu rütteln, Kameras zu überprüfen, Risikoeinschätzungen vorzunehmen und die Grundrisspläne des Gebäudes samt den darin verzeichneten Fluchtwegen zu studieren. Wenn sie stillstehen, tun sie es mit leicht gespreizten Beinen, als wollten sie demonstrieren, dass ihre Gliedmaßen zu muskulös sind, um sie enger zusammenzustellen. Schultern, Nasen, Arme, alles ist so breit, dass AJ sich ganz unzulänglich fühlt.
Auf dem anderen Monitor sieht man immer noch den grauen Klebstreifen. Nichts hat sich da geändert. Die Lautstärke der akustischen Übertragung ist höher gestellt worden, damit jeder in allen Nuancen hören kann, was in dem Zimmer mit der Geisel vorgeht. Aber es ist nur Stille, was ihnen da entgegendröhnt – das vollständige und absolute Fehlen jeglichen Geräuschs.
Die Eieruhr dreht sich wieder. Und wieder. Vielleicht hilft sie Linda dabei, sich zu konzentrieren. AJ erinnert sie nur daran, dass seine Mum vor solchen Dingen instinktiv die Augen abgeschirmt hätte, weil sie einen epileptischen Anfall auslösen konnten. Jedes Mal, wenn der Sand durchgelaufen ist, ist wieder eine Minute vergangen, in der Isaac Handel freie Hand hatte, mit Melanie zu tun, was er will. Und das wird eine Menge sein – da ist AJ sicher. Er erinnert sich, wie Handel Melanie beobachtet hat, wenn sie durch den Korridor ging. Er wird alles das tun, was er sich bei diesen Begegnungen ausgemalt hat.
AJ kann nur hoffen und beten, seine eigene Fantasie möge farbiger und grausamer sein als Handels.
DI Caffery ist telefonisch nicht zu erreichen. AJ wäre so viel wohler, wenn er hier wäre. Es tut mir so leid, so leid, sagt er lautlos zu dem Monitor, der den Klebstreifen zeigt. Melanie, es tut mir so leid .
Plötzlich reißt Handel das Isolierband ab, mit dem er das Mikrofon abgedeckt hat. Das Geräusch ist ohrenbetäubend, und alle schrecken zusammen. Der Security Supervisor kommt herüber und beugt sich über Linda, um die Lautstärke herunterzudrehen. Das Team hält den Atem an. Der Chefunterhändler neben AJ senkt den Kopf und legt einen Finger an die Stirn. Linda hält eine Hand über ihr Mikro – als wolle sie vermeiden, dass auch nur der Hauch eines Wisperns oder einer Bewegung zu der Geisel und dem Geiselnehmer hineindringt. AJ lehnt sich stumm an die Wand. Hoffentlich haben die Leute hinter ihm nicht bemerkt, dass seine Knie wieder zittern.
Dann verschwindet der Klebstreifen vom Monitor. Das Bild wird grellweiß, als die Kamera sich auf die neuen Lichtverhältnisse einstellt. Dann erscheint das Bild des Raumes.
Melanie sitzt auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand, und hält den Kopf gesenkt. AJ beugt sich vor und betrachtet sie hastig in allen Einzelheiten. Sie ist bekleidet; sie trägt die Sachen, die sie anhatte, als sie zu ihm hereinkam. Nichts ist offen oder zerrissen. Sie lässt die Schultern hängen, aber sie ist am Leben. Sie atmet. Aus diesem Blickwinkel kann er nicht erkennen, ob sie verletzt ist.
Handel steht in der Ecke, und der verkürzende Effekt des Objektivs lässt seinen Kopf größer erscheinen. Die Sporttasche liegt vor ihm auf dem Boden. Er tritt von einem Fuß auf den andern und wischt sich zwanghaft die Hände ab. Sein Blick wandert rastlos von Melanie zur Tür und weiter zur Kamera. Seine Jeans ist ihm zu groß, sie schlottert um seine dürre Gestalt – aber wenigstens, sieht AJ, ist der Reißverschluss zu. Und an seiner Kleidung ist kein Blut zu sehen.
Der Verhandlungsleiter in der Tür lehnt sich zurück ins Mitarbeiterzimmer und berichtet dem Commander im Flüsterton, was er sieht. AJ hört Bruchstücke dessen, was sie sagen. Zeit lassen – sehen, wie es sich entwickelt –, Plan zur Befreiung in Kraft setzen … Er bemüht sich, beherrscht und lautlos zu atmen, aber es kostet ihn eine monumentale Willensanstrengung, kein Geräusch von sich zu geben.
Melanie hebt den Kopf und schaut in die Kamera. Ihr Gesicht ist unverletzt – keine blauen Flecke, kein Blut. Ihre Augen sehen allerdings aus wie schwarze Löcher.
»Kann man mich hören?«, fragt sie.
Linda schaltet
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