Die Puppenmacherin: Psychothriller (German Edition)
Nein, es war seine Stimme gewesen. Sie war noch immer in ihrem Kopf, deutlich, höhnisch, zu allem bereit. Sie hatte sich in ihrem Gehirn eingenistet, da kam sie nicht mehr heraus.
Mit einem Mal klang Milan erschreckend sanft, als er fragte: »Soll ich vorbeikommen?«
»Nein«, rief sie.
Er durfte ihr nicht zu nahe kommen, nicht jetzt.
»Nein!«, rief sie wieder. Und dann legte sie auf.
Sie warf sich auf ihr Bett und drückte ihre Puppen an sich. Da war Gandolf, das Schweinchen, eine ihrer ersten Kreationen. Die rosa Wolle wurde von ihren Tränen durchnässt.
Sie musste sich beruhigen. Die Angst durfte nicht übermächtig werden. Halte dagegen, Josie, dachte sie, du darfst es nicht zulassen.
Sie schluchzte laut auf.
Und wieder und wieder sprach diese Stimme auf sie ein:
»KOMM HER ZU KARLI. NUN MACH SCHON. KARLI WARTET AUF DICH.«
ZWEI
D ie Sonne stand schon tief, als er über die Monumentenbrücke radelte. Er mochte den weiten Blick über die Bahntrasse bis hin zu den Hochhäusern am Potsdamer Platz. Er passierte die Friedhofsmauer, überquerte die Langenscheidtbrücke und wäre beinahe aus Gewohnheit links in die Crellestraße eingebogen, doch Jana Michels hatte ihre alten Praxisräume wegen der Übergriffe des Federmannes aufgegeben und war in derselben Straße nur einige hundert Meter entfernt fündig geworden. Er fuhr also nach rechts und hielt vor dem Eckhaus an der Kulmerstraße.
Sein Tag im Kommissariat war nicht besonders aufregend gewesen, er hatte wieder auf der Indoorschießbahn trainiert, Breier war immer zufriedener mit ihm, und da erfreulich wenig Aktenkram zu erledigen war, hatte er noch anderthalb Stunden im Fitnessraum verbracht. Sein rechter Arm fühlte sich mittlerweile annähernd so stark an wie vor den schrecklichen Ereignissen im vergangenen Frühjahr.
Und dennoch registrierte er in seinem Innern eine gewisse Unruhe, als stünde Unheil bevor. Während er sein Fahrrad abschloss, fragte er sich, ob die Nervosität nicht auch etwas mit Jana Michels zu tun hatte.
Selbst wenn sie es einen Termin nannte, für ihn war jedes Treffen mit seiner Psychologin wie ein Date.
Sein Herz klopfte heftig, als er auf den Klingelknopf an der Eingangstür drückte.
Nach einer Weile schnarrte der Summer, und er ging hinein.
Frida König war reif für eine Dusche.
Sie hatte die Tagesschicht im »Brachvogel« hinter sich, bei dem schönen Wetter waren alle Plätze in dem Biergarten besetzt gewesen, und sie war ununterbrochen zwischen den Tischen hin und her geeilt, hatte unzählige Bestellungen aufgenommen und schwere Tabletts getragen.
Sie schloss ihre Wohnung auf, streifte ihre Schuhe ab, ging in die Küche, füllte ein Glas mit Wasser und trank es in einem Zug leer.
Während sie sich in ihrem Schlafzimmer auszog, fiel ihr Blick auf ihr ungemachtes Bett, und sie musste schmunzeln, als sie das Amigurumi darauf hocken sah, die großäugige Puppe mit der Strickmütze, die ihr Tom zu ihrem neunundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Sie dachte an den seltsamen Film mit dem Spinnenwesen von gestern Abend zurück, und wie scheußlich er doch gewesen war, aber die Puppen von dieser Josephin waren schön, sie musste unbedingt mal ihren Laden in der Weserstraße aufsuchen.
Im Bad drehte sie die Dusche auf, stieg in die Wanne und ließ das lauwarme Wasser auf sich herabprasseln.
Sie überlegte, was sie am Abend unternehmen sollte. Vielleicht eine Verabredung mit Tom, ein bisschen um die Häuser ziehen, die Stadt war im Sommer ein einziger Vergnügungspark. Sie seifte sich ein und summte leise vor sich hin, als es an der Tür klingelte.
Beinahe hätte sie es überhört, da läutete es beharrlich ein zweites Mal. Sie spülte die Seife ab, drehte die Hähne zu und stieg aus der Wanne. Nur in ein Handtuch gewickelt tappte sie in den Flur und schaute durch den Spion.
Ein Kerl im Blaumann stand im Treppenhaus.
Ein Handwerker, dachte sie, aber um diese Zeit noch? Sollte sie überhaupt öffnen?
Nach dem dritten Läuten traf Frida König eine folgenschwere Entscheidung.
Der Raum, in den sie ihn führte, war etwas kleiner als der alte, aber genauso lichtdurchflutet. Ein hohes Fenster zum Hof, mit Blick in die Wipfel zweier Birken, der Himmel darüber klar und weit. Es war ein Raum, in dem er sich sofort wohlgefühlt hätte, wäre er nicht so aufgeregt gewesen.
Er setzte sich in einen der beiden Ledersessel, während Jana Michels wie üblich an ihrem Schreibtisch Platz nahm und etwas auf ihrem
Weitere Kostenlose Bücher