Die Quelle
wiederholte er. »Gewiß!« pflichtete Zadok bei. »Der Berg soll Baal heilig sein, denn der Berg, den El-Schaddai bewohnt, ist weder der aufgetürmte Fels dort noch der dahinter, sondern der Berg, den kein Mensch je sieht.«
»So wird es keinen Streit geben?« fragte Uriel erleichtert.
»Keinen«, sagte der Alte aufrichtig. Uriel bemerkte jedoch, daß des alten Mannes Augen in heftigem Feuer glühten, wie er es nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte - im Feuer des Glaubenseifers; die erste Regung des Kanaaniters war daraufhin, sich von dem Hebräer wie von etwas ihm völlig Fremden zurückzuziehen. Aber das Feuer erlosch, und er sah nur noch Zadok, einen Bittsteller, mit dem sich reden ließ.
»Laßt uns zu den Feldern gehen«, sagte der Statthalter, rief seine hethitische Leibwache herbei und begab sich vom Tor hinab zu den Hebräern, die nahe der Mauer den Ausgang der Begegnung abwarteten. Anerkennung lag im Blick des Kanaaniters, als er die männliche Haltung der großen, ranken Gestalten sah, die ruhig dastanden, gleichermaßen bereit für Krieg oder Frieden, jedoch voller Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang. Uriel sah klaräugige Frauen, sah ihre stillen, neugierig starrenden Kinder. Diese Leute waren besser als der Pöbel, der sonst gewöhnlich über die Straße herangezogen kam.
»Der Olivenhain gehört mir«, erklärte er, »gemäß unserer Sitte aber dürft ihr die herabgefallenen Früchte nehmen und alle, die nach der Ernte übrig sind.« Die Hebräer nickten, denn so lautete das Gesetz in allen Ländern. »Keiner darf sich an der Ölpresse zu schaffen machen«, sagte Uriel. In tausend Jahren immer neuer Kriege hatte niemand, hatten nicht einmal die Hyksos die drei Steinbottiche zerstört oder auch nur einen Ölbaum umgehauen; denn wer Makor besetzte, brauchte die Bäume ebenso wie die Anlage. Denn ohne Oliven und Presse. »Wasser?« fragte Zadok.
Mit dieser Frage hatte der Alte die entscheidende Schwierigkeit des Zusammenlebens von Kanaanitern und Hebräern auf gleichem Land angerührt. Das Sumpfwasser war brackig und unbrauchbar; dies hatten Frauen der Hebräer, die vorausgeeilt waren, bereits erkundet. Und die von Uriel erbaute Wassermauer sperrte den Zugang zum Brunnen von außen her. Das Wasser, das die Hebräer brauchten, konnten ihre Frauen nur holen, indem sie zum Hügel hinaufstiegen und den langen Weg durch das Tor, über die Hauptstraße, zum Nordtor hinaus und durch den dunklen Gang zum Brunnen gingen. Das war beschwerlich, konnte aber seine Vorteile haben: Tagtäglich mußten die Frauen diesen Weg hin und zurück gehen, sie und dann auch ihre Männer machten sich mit den Kanaanitern bekannt, der eine erfuhr, wie der andere lebte, nach einiger Zeit kam es schließlich zu Heiraten - wenn schöne Hebräermädchen Tag um Tag schmucken Männern der Kanaaniter begegneten, ließ sich das einfach nicht vermeiden -, und binnen kurzem mußte es sich als geradezu selbstverständlich erweisen, daß die höhere Stadtkultur der derben Vitalität des Wüstenvolkes überlegen war. Das brauchte für die Hebräer durchaus keine Schande oder Demütigung bedeuten, sondern konnte sich in einer Art stiller Ergebung in ein Schicksal vollziehen, das sie zu einer höheren Kultur und einer neuen Wertordnung erhob. Es konnte aber auch Auseinandersetzung, wenn nicht Kampf bedeuten - und dieses Ringen zwischen Hebräern und Einheimischen sollte hundert Geschlechter anhalten, sein Ausgang niemals eindeutig sein, der Sieg einmal die Einheimischen, ein andermal die Hebräer begünstigen: Menschen wie Dalila und Samson, Jezabel und Elia, Sanballat und Nehemia sind Gestalten dieser Auseinandersetzung, und noch Jahrtausende nach deren Tod sollten Menschen in Moskau, in Witwatersrand und Quebec Ähnliches erleben: Die schwierige Frage, vor der schon zu Zadoks und Uriels Zeiten die Hebräer und Kanaaniter standen - die schwierige Frage des Zusammenlebens von Menschen verschiedenen Glaubens im gleichen Land -, ist bis heute noch nicht ganz aus der Welt geschafft.
»Unsere Frauen müssen also durch die Stadt gehen?« fragte Zadok. »Es gibt keinen anderen Weg«, antwortete Uriel. »Könnten wir nicht ein Tor zum Brunnen haben?«
»Nein.« Unter keinen Umständen konnte Uriel das zulassen -eine Öffnung in der von ihm so vorsorglich angelegten Mauer hätte diese Sicherheitsmaßnahme zunichte gemacht.
Die beiden Männer sahen einander eine Weile in die Augen; jeder verstand, was den anderen beunruhigte. Und da sie
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