Die Quelle
Unbilden von Wetter, Wüste und Wind. Der Kanaaniter war weitaus zivilisierter und gebildeter, und im Dienst der Ägypter hatte er zudem ein viel besseres Verständnis der gegenwärtigen Zeit und ihrer Menschen gewonnen. Beide aber waren als Richter ihres Volks gleichermaßen auf Gerechtigkeit bedacht und als die Männer, die sich für den Glauben ihres Volkes verantwortlich fühlten, auf die Heiligkeit ihrer Götter. Weder Zadok noch Uriel war unbeherrscht, großsprecherisch oder grausam. Worin sie sich vor allem unterschieden, war dies: Uriel hielt die göttliche Dreieinheit von Makor für nützlich, aber nicht für wesentlich wichtig. Zadok hingegen fühlte sich selbst ganz und gar im Schoße seines Gottes El-Schaddai geborgen und konnte sich ein Leben außerhalb des allumfassenden Gottes nicht vorstellen. Dafür glichen die beiden einander in zweierlei Hinsicht: Keiner hätte versucht, dem anderen seine Götter oder seinen Gott aufzuzwingen, und beide waren sie der Ansicht, daß zwei so verschiedene Völker wie Kanaaniter und Hebräer in Eintracht miteinander zu leben vermochten. Zadok hielt den
Krieg für verwerflich, und Uriel, der im Dienst der Ägypter ein einfallsreicher Heerführer gewesen war, verspürte keinerlei Verlangen, das eigene Volk im Kampf zu opfern. Sollte die schicksalhafte Begegnung von neunzehnhundert Kanaanitern mit siebenhundert Hebräern böse Folgen haben, so nicht deshalb, weil Uriel und Zadok mit Streit begonnen hätten, denn beide waren sie Männer des Friedens.
Als Zadok durchs Tor trat, erschreckte ihn die Enge, in der er sich plötzlich befand, und es war ihm, als wollten die grauen Türme ihn erdrücken. Der scharfe Knick der Straße nach links, der ihn auf eine kahle Mauer zuführte, und die sofort folgende Biegung nach rechts verwirrten ihn ebenso wie die aus Bronze geschmiedeten Ketten zwischen den beiden Wachstuben. Aber er erkannte: Kein Mann konnte ohne weiteres durch das Tor in die Stadt stürmen. Mehr als diese Sicherungen gegen einen Feind beeindruckte den Alten das, was er hinter den Ketten erblickte: die von Menschen verschiedensten Aussehens wimmelnden Straßen, die Häuser, die Läden voller Schätze. All dieses Wunderbare blendete ihn, weckte aber auch sein Mißtrauen, denn er glaubte, das lastende Gewicht der Mauern zu spüren und das Gedränge der Häuser. Hier konnte doch kein Mensch genügend Platz für sich selbst finden! Schon beim ersten Blick in diese geheimnisvolle Stadt sehnte er sich zurück nach der Freiheit der Wüste, und abermals fragte er sich, ob seine Sippe nicht einen schweren Fehler mache, wenn sie hierher wollte.
Der Statthalter, begleitet von Wachen in lederner Rüstung, trat herbei, um den alten Mann zu begrüßen. »Ich bin Uriel, der Statthalter von Makor«, sagte der Kanaaniter.
»Ich bin Zadok ben Zebul, der rechte Arm El-Schaddais, und suche einen Platz für mein Volk.«
»Bist du bereit, Steuern zu entrichten?« Zadok nickte. Der Kanaaniter fuhr fort: »Die Äcker längs der Straße sind besetzt.
Aber hinter ihnen liegt fettes Weideland und Boden, auf dem der Wein gedeiht.« Seine Worte klangen versöhnlicher, als er gewollt hatte. Aber der alte Mann hatte so entwaffnend schlicht gesprochen, daß der Statthalter ihm sogleich wohlgesinnt war: So ein Mann konnte der Stadt nur nützlich sein.
»Von welchen Feldern redest du?« fragte der Hebräer.
»Hinter den Ölbäumen. Hinter dem Feld mit den Eichen. Das ganze Gebiet, bis hinab zum Sumpf.« Uriel wies nach Süden. Dann drehte er sich um und zeigte auf den Berg. »Dort aber dürft ihr nicht wohnen, denn das Land gehört Baal.« Der alte Mann nickte, denn wo er in den vergangenen Jahren mit seinem Volk geweilt hatte, waren bestimmte Plätze bestimmten Göttern heilig gewesen. Er verehrte zwar solche Götter nicht, wußte jedoch, daß andere Menschen ihnen huldigen wollten.
»Wir achten alle Götter auf den Höhen«, sagte er. Auch er hatte ein gutes Gefühl bei dieser Unterredung; die Worte vom Kampf, die seine Söhne zu ihm gesprochen hatten, fanden keinen Widerhall in ihm. Makor war offensichtlich eine reiche Stadt; ihre weiter entfernten Felder aber lagen brach, und es war daher nur verständig von den Beherrschern der Stadt, Fremde willkommen zu heißen. Eines jedoch mußte klargestellt werden: »Wir verehren El-Schaddai, Den vom Berge.« Uriel runzelte die Stirn und trat einen Schritt zurück, denn in dieser Sache durfte er kein Zugeständnis machen. »Der Berg gehört Baal«,
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