Die Quelle
beide einsichtige Männer waren und ein Zusammenleben wünschten, überdachten sie nochmals die Lage. Schließlich sagte Zadok: »Wir nehmen die Felder und werden die Steuern entrichten.« Daraufhin verabschiedete sich Uriel von ihm und kehrte in die Stadt zurück, guten Gewissens, daß er recht daran getan hatte, den Fremden keine Krieger entgegenzuschicken. »Schon früher«, bemerkte er zu seinem hethitischen Hauptmann, »hat Makor, und noch stets zu seinem Vorteil, vielerlei verschiedene Menschen aufgenommen. Das einzig Bedenkliche diesmal ist wohl, daß diese Hebräer so zahlreich sind.«
»Wir werden die Waffen bereithalten«, antwortete der Hauptmann. Bald danach aber sagte er zu Uriels Sohn: »Heute hat dein Vater einen großen Fehler gemacht. Wir hätten die Fremden verjagen sollen.« Daraufhin ging Zibeon hinaus vor die Stadt, um sich die Hebräer anzusehen, und kam zu der gleichen Ansicht. Er besprach sich mit seiner Mutter Rahab; gemeinsam suchten sie Uriel auf. »Du hast es falsch gemacht«, sagte Rahab ruhig.
Uriel hatte gelernt, auf sein kluges Weib zu hören; selten hatten sie Streit miteinander gehabt. »Vielleicht, ja«, gab er zu, »aber wir haben in Makor kaum genug Arbeitskräfte.«
»Aber du läßt die Falschen herein«, erwiderte Rahab. »Du hast sie nicht gesehen.«
»Zibeon hat sie gesehen. Und der Hethiter. Sie kennen die Wüstenstämme. Die weder Mauern noch Städte noch anständige Häuser schätzen.«
»Sie schätzen Felder und Herden«, versetzte Uriel. »Und sie achten die heiligen Stätten und die Götter. Wir brauchen sie.« An jenem Nachmittag ließ Uriel allenfalls gelten, daß Rahab möglicherweise recht habe und die Fremden vielleicht Anlaß zu Unannehmlichkeiten geben könnten. Aber nun hatte er die brachliegenden Äcker bereits verpachtet, und eigentlich war er über seinen Entschluß doch ganz froh.
Auch Zadok war zufrieden. Als der Tag endete, versammelte er die Seinen vor dem kleinen roten Zelt, das seine Söhne unter einer Eiche aufgeschlagen hatten, und sprach zu den vom Staub der Wanderung Bedeckten: »El-Schaddai hat uns an diesen Ort geführt, getreu Seiner Verheißung. Diese Felder und diese Hügel werden unsere Heimat sein, aber nicht wir haben sie erobert. El-Schaddai tat es für uns, und Ihm bringen wir unseren Dank dar.«
Er befahl seinen Söhnen, den weißen Widder, das schönste Tier der Herde, herbeizuführen. Der sich sträubende Widder wurde vor das Heiligtum gezerrt. Hier tötete der Alte ihn mit einem scharfen Steinmesser und brachte das Opfer zum Ruhm des Einen Gottes dar. Das vom Altar tröpfelnde Blut besiegelte den Bund, der diese Hebräer für immer mit dem Gott vereinte, der sie auserwählt hatte, in diesem schönen Land zu wohnen. Die starken gekrümmten Hörner des Bockes, so hatte es Zadok bestimmt, sollten künftig die Hebräer zum Gebet an diesen Ort rufen, und die Wolle des Widders sollte zu einem schwarzweißen Gebetsmantel verwebt werden, der zur Erinnerung an diesen Tag in der Lade aufbewahrt blieb. Es war ein Augenblick inniger Hingabe an den Einen Gott, als Zadok rief: »El-Schaddai, Du von den Bergen, Du vom Sturmwind, wir geben uns in Deine Hände. Zeige und führe uns den Pfad, den wir wandeln sollen.« Und er fiel vor dem Heiligtum nieder und wartete auf Weisung. Aber El-Schaddai sprach nicht. Und dann kam es zu Mißhelligkeiten. Sie begannen aus Gründen, die weder Uriel noch Zadok hatten voraussehen können. El-Schaddai war - so hatten es die Weisen der Hebräer vielen Geschlechtern unmißverständlich verkündet, und so glaubten es auch die einsichtigen Männer aus Zadoks Sippe - im Gegensatz zu den Göttern der Kanaaniter und der Ägypter ein unsichtbarer Gott, der an keinem bestimmten Ort wohnte. Für den durchschnittlichen Hebräer jedoch, der über derlei nicht nachzudenken gewohnt war, mußte die Lehre von einem Gott, der nirgends wohnte und der nicht einmal körperliche Gestalt besaß, nur sehr schwer zu begreifen sein. Solche Leute konnten Zadok allenfalls darin folgen, daß Gott nicht auf diesem Berg - dem unmittelbar vor ihnen liegenden - lebte; aber vielleicht wohnte er auf einem anderen, näher oder ferner liegenden Berg, dieser Gott, den sie sich dann auch vorstellten: als einen alten Mann mit einem weißen Bart, der in einem sauberen Zelt nächtigte und den sie eines Tages vielleicht sehen und gar berühren konnten. Gefragt, hätten sie geantwortet, sie dächten sich El-Schaddai sehr ähnlich ihrem Vater Zadok, aber
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