Die Quelle
Norden kommend gesehen. Und seine wunderbaren Berge lockten mich, wie sie Abraham verlockt haben müssen. Bisher ist mir noch niemals eingefallen, daß man es überhaupt anders betrachten kann.«
Tabari sagte: »Während des Krieges 1948 lernte ich einen Araber kennen, der von jenseits des Jordans stammte. Er erzählte mir, wie glücklich er gewesen sei, als seine Einheit in Palästina einfiel. Aus der Wüste zu kommen und solch überschwenglichen Reichtum vor Augen zu haben. dieses Grün! Seine Kompanie brauchte nur nach Westen, zum Meer zu marschieren, und das Land gehörte ihnen.«
»In welcher Richtung siehst du es?« fragte Cullinane.
»Ich?« wiederholte Tabari erstaunt. Er hatte sich die Frage noch nie gestellt und fuhr tastend fort: »Ich sehe das Land, als sei es immer und immer hier gewesen und ich stünde seit jeher auf seinem Boden. Weder Westen noch Osten noch Süden. Nur dieses Land sehe ich, so weit zurück, wie das Gedächtnis meiner Familie reicht. Vermutlich könnte ich an jedem der vier Orte leben, die wir heute aufgesucht haben, und einigermaßen glücklich sein.«
»Sogar in der Höhle?« fragte Cullinane.
»Die Ziegen würde ich rausschmeißen.«
Und die drei Forscher kehrten, jeder mit einer anderen Vorstellung von dem Land, dessen Geschichte sie ausgruben, nach Makor zurück.
Gerschom war ein Sänger aus den Bergen. Er hatte die Schafe seines Schwiegervaters in den Hochtälern gehütet und dort einen Mann getötet. Deshalb mußte er fliehen. Seine Verwandten und seine Frau hatte er zurücklassen müssen. Er trug das schlichte Gewand der Bergbauern aus Schaffell, und er kam mit leeren Händen nach Makor, ohne Tauschware, ohne Werkzeug und ohne Geld. Nur seine siebensaitige Leier aus Fichtenholz hatte er bei sich. Mit Bronzebeschlägen war sie verziert und mit Schafsdärmen bespannt, die jetzt schlaff über den Schallkasten hingen. Er suchte Schutz vor den Brüdern des Mannes, den er erschlagen hatte. Eigentlich hatte er gehofft, in Akcho untertauchen zu können, aber er war am Ende seiner Kräfte. Die Verfolger waren ihm auf den Fersen, denn sie ritten auf Eseln, während er zu Fuß hatte gehen müssen.
Der Fremde taumelte an den Wachen vorbei. Nur das eine Wort konnte er noch stammeln: »Freistatt«. Sie deuteten in die Richtung des Tempels und liefen dann zum Statthalter, der gerade noch rechtzeitig erschien, um den Schäfer die Hauptstraße hinunterlaufen zu sehen. Eben war er in der Biegung verschwunden, als schon drei staubbedeckte Männer auf Eseln die Rampe hinaufritten und Einlaß verlangten. »Wenn ihr einen sucht«, sagte der Statthalter, »er ist im Tempel.« Die drei stiegen schimpfend und mit steifen Knien von ihren Eseln, gaben den Tieren einen Tritt, damit sie sich selbst einen schattigen Platz suchten, und folgten dem Statthalter, der ihnen den Weg zum Tempel zeigte. Das Gebäude war absichtlich klein und bescheiden gehalten, denn es sollte sich nicht mit dem Heiligtum in Jerusalem messen können; aus rötlichen, unbehauenen Feldsteinen aufgeführt, besaß es nicht einmal Säulen oder einen eindrucksvollen Zugang über sorgsam behauene Stufen. Die Türflügel waren aus Olivenholz - dünne Bretter, kunstlos zusammengenagelt.
Als der Statthalter sie aufstieß, knirschten die steinernen Angeln. Innen war es dunkel, denn der Tempel besaß keine Fenster, und es brannte hier auch keine ewige Flamme. Nur ein paar einfache Öllampen beleuchteten die Stufen vor dem erhöhten Altar aus schwarzem Basalt. Er war aus einem Stück gearbeitet und vorn mit einem Stierkopf verziert - als Zeichen für die Opfer, die nach altem Brauch auf solchen Altären dargebracht wurden. In Makor allerdings waren schon seit vielen Jahren keine Tiere mehr geopfert worden, denn allein in Jerusalem durfte dies noch geschehen. Das Auffallende an diesem Altar aber waren die vier Hörner, an jeder Ecke eines. Noch immer nannte man so die aufragenden, abgerundeten Ecken, obwohl sie schon lange nicht mehr die Form eines Hornes besaßen. Aber sie hatten von jeher eine besondere Bedeutung gehabt: Als der Flüchtige sich nun auf der obersten Stufe hinkniete - das Schaffell fiel lose um ihn, und die Leier lag auf der Seite -, packte er zwei der Hörner. »Er hat Freistatt gefunden«, sagte der Statthalter und deutete auf den Altar. »Wir warten«, entgegneten die Brüder.
»Wir sind verpflichtet, ihm Speise und Trank zu geben«, warnte der Statthalter. »Solange er in der Nähe des Altars bleibt.«
»Wir
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