Die Quelle
ausmerzt?«
Vor einigen Wochen jedoch ist es zu Vorfällen gekommen, die vermutlich sogar Rom aufhorchen lassen werden - als Zeichen dessen, was sich in diesem halsstarrigen Judaea an der Ostgrenze des Imperiums zusammenbraut. Es ist schon Jahre her, daß Herodes befahl, über dem Haupttor zum Tempel einen aus Holz geschnitzten Adler anzubringen - eine bewußte
Herausforderung der Juden, die den König ebenso hassen, wie er sie verachtet. Seit den Tagen des Antiochos Epiphanes war dieser vergoldete Adler, das Zeichen der Macht Roms, das erste Bildwerk, das den Tempel schändete. Jahrelang mußten die Juden, denen ohnehin jede bildliche Darstellung ein Greuel ist, in ohnmächtigem Zorn zusehen, wie mit diesem Adler ihr Glaube und ihr Vaterland verhöhnt wurden. Als der Adler aufgestellt wurde, konnte ich den Groll der Juden nicht recht begreifen; Schulamit hat mich gelehrt, sie zu verstehen.
Vor wenigen Wochen jedenfalls redeten zwei jüdische Schriftgelehrte so lange auf ihre Schüler ein, bis einige junge Männer den römischen Adler herunterrissen und in Stücke schlugen. In ganz Jerusalem jubelten die Frommen, und ich vermute, daß es zu einem Aufstand gekommen wäre, wenn nicht Herodes’ afrikanische und germanische Söldner die beiden Schriftgelehrten verhaftet und etwa vierzig ihrer Schüler vor den König geschleppt hätten. Herodes tobte vor Zorn. Denn was die Juden getan hatten, war gegen Rom gerichtet gewesen. Als der hölzerne Adler stürzte, hatte sein Thron gewankt! Blindwütig schlug er zurück. Die beiden Schriftgelehrten und die drei jungen Leute, die den Adler heruntergerissen hatten, wurden vor den Toren des Tempels bei lebendigem Leibe verbrannt. Die anderen vierzig trieb man in einen kleinen Pferch, wo afrikanische Söldner sie niedermachten. Der Adler wurde durch einen größeren ersetzt. Herodes meldete nach Rom, man brauche sich nicht zu sorgen: Er würde, wenn nötig, auch eine Million Juden umbringen.
So spreizte er sich prahlerisch nach außen hin vor Rom - in seinem Innern jedoch grämte er sich erbittert über die Feindschaft der Juden. Seine tödliche Krankheit verschlimmerte sich zusehends. Als er spürte, daß es mit ihm wohl zu Ende ging, bat er mich, ihn zu den heißen Bädern jenseits des Jordans zu begleiten, dorthin, wo Wasser aus dem
Felsen sprudelt und ins Tote Meer fließt. Der Ort heißt Kallirhoe. Auf dem Weg dorthin zogen wir durch das kahle, öder, menschenleere Land östlich von Jerusalem; es war mir, als seien wir Gestorbene, die durch eine Landschaft der Hölle wanderten. Herodes hat wohl die gleichen Gedanken gehabt, denn die Söldner mußten die Vorhänge an seiner Sänfte schließen - draußen sah es genauso trostlos aus wie in seinem Gemüt. Nachts im Zelt redete er über die Philosophen, die er gekannt, und über die griechische Schönheit, die ihn sein Leben lang so tief beeindruckt hatte. Wir sprachen griechisch miteinander. Mit einem trockenen Räuspern sagte er: »Du und ich, wir sind die allerbesten Griechen gewesen, Myrmex. In Rom meinen sie, wir sind Römer, aber wir haben sie hinters Licht geführt. Nicht einmal ein Caesar Augustus könnte meine Seele für Rom gewinnen, denn sie ist griechisch.« Ich war überrascht, daß er das Wort Seele gebrauchte, denn es war ein griechisches Wort und den Juden auch dem Begriff nach nicht geläufig.
Von unseren Gesprächen angeregt, erholte er sich während der mehrtägigen Reise durch die Wüste etwas. In Kallirhoe, dieser lieblichen Oase mit dem klangvollen Namen, verschrieben die Ärzte ihm ein Bad in fast kochend heißem Öl. Ich tauchte einen Finger in die Wanne und meldete bei den Ärzten meine Bedenken an: Die Hitze werde ihn umbringen. Sie aber bestanden darauf, und Herodes sagte: »Wenn wir schon von so weither gekommen sind, alter Freund, wollen wir es doch probieren.« Man ließ ihn langsam in die Wanne hinab. Ich hatte recht gehabt: Er wurde ohnmächtig, seinem Hals entrang sich ein krächzender Laut, und er verdrehte die Augen in Todesqual. Ich schrie die Ärzte an, aber sie beruhigten mich: »Das Weiße in den Augen ist ein gutes Zeichen.« Nach einigen Minuten in dem brühheißen Bad belebte sich der von dem Leiden gemarterte Körper. Eine Zeitlang ging es ihm besser;
dann aber fühlte er sich wieder elend, und er befahl: »Bringt mich zurück nach Jericho, ich habe Dringendes mit meinem Sohn Antipater zu erledigen.« So kehrten wir durch die Landschaft des Todes heim. Zuletzt habe ich König
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