Die Quelle
es all die Jahre für Herodes selbst getan hatte. Da kam ein Söldner von der Wache im Kerker mit der Meldung, daß Antipater, verfrüht vom Tod des Vaters benachrichtigt, die Wachen zu bestechen versucht habe, damit sie ihn freiließen und er den Thron besteigen könne.
»Tötet ihn«, schrie der Verfaulende von seinem Totenbett. Und in stumpfem Gehorsam rückte eine Abteilung seiner Leibwache ab, die Kurzschwerter zum fünftenmal gezogen zum Mord an einem Mitglied der Familie des Königs. Mir fiel der bittere Scherz des Augustus ein: »Ich möchte lieber Herodes’ Schwein sein, als seiner Familie angehören, denn seine Schweine haben wenigstens Aussicht zu überleben.«
»Du bist wahnsinnig!« schrie ich. »Das Königreich braucht Antipater.«
»Ich nicht«, brüllte der alte König zurück. Aber nun schüttelte ein wilder Hustenanfall seinen Körper. Der Pesthauch des Todes erfüllte den Raum mit seinem Gestank.
Rasende Schmerzen verwirrten den Geist des Königs. Als der Krampf vorüber war, fiel er erschöpft zurück. Eine Weile weinte er um seinen Sohn, der in diesem Augenblick ermordet wurde, und immer wieder flüsterte er Mariamnes Namen. »Ob sie auf mich wartet, wenn ich sterbe?« fragte er kläglich. Ehe ich antworten konnte, fuhr er fort: »Ihr wart die Glücklichen, Myrmex, du und Schulamit.« Er lächelte mir zu wie einem Bruder, und mit sichtbarer Befriedigung blickte er auf die Tränen, die mir unwillkürlich in die Augen traten. »Gibt es noch irgendwo in der Welt so schöne Frauen, wie die jungen Jüdinnen es waren, die wir gekannt haben? Kleopatra, Augustus’ Gemahlin Livia. ja, ja, aber keine war wie Mariamne. Warum hat man sie mir genommen?« Er sprach von ihr, als habe eine plötzliche Krankheit sie dahingerafft. Dann aber flackerten seine Augen voller Angst vor etwas, das ihn irgendwoher bedrohte, und er flüsterte mir zu: »Hast du von den Gerüchten gehört, Timon? Daß der wahre König der Juden geboren ist?« Ich hatte nichts gehört und konnte deshalb nichts sagen. Er aber zog mich näher an das Bett und flüsterte noch leiser: »Sie sagen, er ist in Bethlehem geboren. Ich habe Söldner hingeschickt, damit sie nachforschen.« Ich schwieg. Plötzlich stand er auf. Mit seinen schweren Füßen, die aufgedunsen waren wie bei einem drei Tage Toten, tappte er im Zimmer umher und griff mit zitternden Händen ins Leere, als verfolge er einen Schatten. »Warum haben mich die Juden gehaßt? Timon Myrmex, du bist mit einer Jüdin verheiratet. Sag es mir. Warum haben die Juden mich gehaßt?« Schwankend, die Beine weit gespreizt, um nicht zu stürzen, stand er im Nachtgewand vor mir und schrie: »Ich bin den Juden ein guter König gewesen. Ich habe ihrem Land Frieden und Gerechtigkeit gebracht. Sie nennen mich einen Idumäer und sagen, ich sei kein Jude. Myrmex, du weißt es, daß mein einziger Wunsch es war, den Juden zu dienen!« Und meinen
Arm packend, zischte er mich an: »Schulamit liebt mich doch?«
Ich beruhigte ihn, sagte ihm, ja, sie liebe ihn. Wie ein verängstigtes Kind wimmerte er: »Sie ist die einzige.« Und wieder faßte er mich am Arm. »Du weißt, daß Mariamne mich nie geliebt hat. Sie hat mich verachtet, sie hat gesagt, ich bin kein richtiger König.« Er blickte mißtrauisch um sich und flüsterte: »Ich glaube, sie hatte einen Geliebten. Ein Mann, der im Palast die Haare schnitt.« Was sollte ich gegen diese aberwitzige Verleumdung sagen? Wie einem Kind redete ich ihm gut zu, er solle wieder ins Bett gehen. »Erst letzte Woche hat mir Schulamit gesagt, daß sie dich lieb hat. Aber wenn du immer weiter Juden tötest, wird auch sie dich hassen.« Er blickte mich voller Entsetzen an und griff sich an den Hals. »Schulamit mich hassen? Weiß sie denn nicht, daß ich alles, was ich tat, für die Juden getan habe? Myrmex, sag mir ehrlich, die Juden werden doch um mich trauern?« Warum habe ich es gesagt? Warum konnte ich diesem irrsinnig gewordenen alten Mann nicht auch jetzt so helfen, wie ich es die ganzen Jahre hindurch getan hatte? Was machte es aus, ob die Juden um ihn trauerten oder nicht? Aber ich antwortete: »Herodes, wenn du weiter tötest, wird niemand um dich trauern.« Er taumelte zurück, als hätte ich ihn geschlagen. Er würgte an meinen Worten. Wellen des Gestanks strömten aus seinem verfaulten Leib. Es ekelte mich. Er sah es mir an. Wild schrie er: »Du hast unrecht, Myrmex, bei Gott, du hast unrecht. Die Juden werden um mich trauern, wie sie nie zuvor
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