Die Quelle
Herodes vor sieben Tagen gesehen. Ich erzählte meiner Frau davon. Sie weinte bitterlich über unsern alten Freund. Es war furchtbar gewesen: Sein einst schlanker, wohlgebauter Körper war verfettet, er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf, und drei Vorderzähne waren abgebrochen, ohne daß man sie ersetzt hatte. Die scheußliche Krankheit hatte sich über seinen ganzen Körper ausgedehnt. Seine Beine waren aufgeschwollen und an den Knöcheln eine halbe Elle dick. Er konnte nichts essen, ohne daß seine Eingeweide ihn höllisch schmerzten. Sein Glied eiterte. Geschwüre bedeckten den ganzen Leib. Maden krochen in dem absterbenden Fleisch umher. Innerlich mußte er völlig verfault sein, denn er verbreitete einen solchen Gestank, daß sogar seine Wachen regelmäßig abgelöst werden mußten, weil sie sonst ohnmächtig geworden wären. Siebzig Jahre war er nun alt, und sein qualvoll dahinsiechender Körper rächte alle die Verbrechen, die er begangen hatte: an Mariamne, an seinen Söhnen, seiner Schwiegermutter, seinen Freunden, seinen Untertanen. Dieser lebende Leichnam - es war ein unvorstellbar grauenhafter Anblick. Aber dieser Mann ist mein Freund und mein Wohltäter gewesen, und als die anderen ihn flohen, bin ich bei ihm geblieben und habe versucht, ihm seine letzten Stunden zu erleichtern. »Herodes«, sagte ich kühn, »ich bin dein ältester Freund, und ich kenne keine Furcht mehr. Du kannst mir nichts anhaben, was ich mir nicht schon selber angetan habe, indem ich für dich arbeitete.«
»Was meinst du?« fuhr er hoch und stützte sich auf den Ellbogen, so daß sein übelriechender Atem mir mit ekelerregender Schärfe ins Gesicht schlug. »Ich habe dir beigestanden. Ich habe geholfen, Aristobulos zu ertränken.«
»Er ist gehenkt worden«, schrie der König. Er brachte in seiner Geistesverwirrung zwei seiner Opfer durcheinander, die beide Aristobulos geheißen hatten, den Oheim und den Neffen. Von seinem ersten großen Verbrechen wußte er gar nichts mehr.
»Ich habe mich dazu hergegeben, daß Mariamne umgebracht wurde.«
»Nein«, widersprach er mit erhobener Hand. »Ihr Geist war bei mir. Sie hat mir vergeben!« Er fiel zurück auf das Lager und lallte vor sich hin wie ein Irrer: »Sie hat mir vergeben, Myrmex! Ihr Geist kommt nicht mehr. O Mariamne!« Er weinte. Und mit jedem seiner hastigen Atemzüge kam der faulige Dunst der Verwesung über mich, so daß ich vom Rand seines Lagers zurückwich. »Laß mich nicht allein!« flehte er. »Du bist mein einziger Freund, der einzige, dem ich trauen kann.« Wie ein Kind redete er sehnsüchtig von der schönen Zeit gemeinsamer Erlebnisse, und dann fragte er mich, ob ich ihn noch einmal in die nördlichen Provinzen begleiten würde. »Galilaea ist das einzige Land meines Königreichs, wo die Leute mich wirklich lieben«, wimmerte er. »Ich möchte noch einmal Makor sehen. Mit dir.« Und er sprach davon, wie er von meiner kleinen Stadt aus mit mir die ersten Schritte auf seinem Weg zum Thron gemacht hatte. Ob die Stadt noch so schön sei, wollte er wissen, mit den kühlen Brisen, die an heißen Nachmittagen durch das Wadi wehen. »In Galilaea liebt man mich noch«, redete er sich ein.
Da ich sah, wie sehr sich der Sterbende an seinen Wunsch klammerte, geliebt zu werden, versuchte ich, diesen seinen Wahn für das zu nutzen, was ich vorhatte. Und so sagte ich: »Du wirst von niemandem mehr geliebt werden, Herodes, wenn du weiter daran denkst, auch Antipater töten zu lassen.« Meine Worte rissen ihn wieder hoch - nur der Haß schien diesen zerfallenden Körper noch zu beleben. »Mein Sohn hat sich gegen mich verschworen«, brüllte er und setzte sich auf. »Wegen seiner Lügen habe ich meine anderen Söhne umgebracht. O Alexander und Aristobulos, meine wahren, meine herrlichen Söhne, warum habe ich euch so elend gemordet?« Er fiel zurück auf die Kissen und weinte in paar Augenblicke lang um seine toten Söhne. Dann aber überkam ihn wieder die Bitterkeit gegen seinen lebenden Sohn. Er beschuldigte den jungen Menschen aufs unsinnigste, verfluchte ihn, warf ihm schauerliche Verbrechen vor.
»Herodes«, redete ich auf den Wahnsinnigen ein, »du weißt genau, daß er all das nie getan haben kann. Gib ihn frei, und ganz Judaea wird dir dankbar sein.«
»Glaubst du?« Er dachte über meine Worte nach, daß er mit der Begnadigung des Sohnes die Liebe seiner Untertanen gewinnen könne. Schon war ich drauf und dran, für Antipater so nachdrücklich einzutreten, wie ich
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