Die Quelle
Männer verließen die dampfenden Quellen. Im marmornen Ankleideraum eilten Sklaven zu ihrer Bedienung herbei. Als sie angekleidet waren, sagte Petronius: »Bitte, bedenke, was du tust.«
»Wir können nicht anders«, erwiderte Jigal.
»Verdammte Juden!« schrie Petronius voller Wut und streckte den schwächlichen Arbeiter mit einem kräftigen Faustschlag zu Boden. Gleich darauf aber bückte er sich und nahm Jigal in die Arme. »Vergib«, flüsterte er. »Diese Besprechungen bringen mich noch zum Wahnsinn.« Er half Jigal, sich aufzurichten, und glättete seine Kleider. »Siehst du denn gar keine Möglichkeit, eine Regelung zu finden?« fragte er bittend.
Jigal sagte leise: »Du wirst jeden einzelnen Juden von Galilaea, von Sebaste und dann von Jerusalem töten müssen.«
Am Abend berief Petronius die Unterhändler in ein Gasthaus nahe dem See - diesem wundervollen, tief zwischen Bergen eingebetteten, so sanften und ruhevollen Gewässer - und sprach: »Juden aus Galilaea, euer Getreide muß gesät werden. Keine Provinz des Römischen Reichs darf zur Saatzeit brachliegen. Darum schicke ich euch nach Hause, damit ihr eure Felder bestellt.« Die Juden hörten seine Worte mit Mißtrauen, denn noch hatte er nichts über die Statuen gesagt. War dies vielleicht eine Falle? Aber der große Feldherr beugte sein Haupt und sagte mit einer Stimme, so leise, daß sie kaum den Wellenschlag übertönte: »Die Statuen werde ich
fortschaffen. Mit dem Beistand eures Gottes will ich versuchen, Kaiser Caligula zu überzeugen, daß er den Willen der Juden von Galilaea nicht zu brechen vermag. Wir Römer können nicht ein ganzes Volk umbringen.« Er hob den Kopf wieder, glättete sein Gewand und verlangte nach seinem Feldherrnstab. Dann setzte er voller Würde hinzu: »Versage ich, so werde ich untergehen. Aber ich werde mit Freuden sterben, wenn ich durch mein Handeln so viele ehrenhafte Männer rette.« Und er umarmte Jigal.
Am gleichen Abend schon verließ er Tiberias, als sei es ihm unerträglich, auch nur noch einmal in der Stadt zu schlafen, in der man ihm solch hartnäckigen Widerstand geboten hatte. Und nachdem er wie auf einem Feldzug im Freien genächtigt hatte, brach er vor Morgengrauen auf und zog nach Ptolemais zurück. Doch als er auf der Straße von Damaskus die Mauern von Makor erblickte, ließ er halten, um das Tor und die weißen Bauten des Gymnasions zu betrachten. Das also war die Stadt, in der dieser Jude Jigal wohnte! »Der verstockteste Bursche, der mir je begegnet ist«, brummte er. Und ein Gefühl der Demütigung befiel ihn: Er, ein römischer Heerführer, zurückgewiesen von einem Landarbeiter! Petronius dachte: Wie konnte eine solche winzige Stadt drei römischen Legionen trotzen? Ich sollte jeden Juden, der in diesen Mauern lebt, töten und zehn Statuen des Caligula aufstellen lassen, damit ihre Geister sie anbeten! Hinter sich hörte er den Marschtritt seiner Legionen. In diesem Augenblick der Empörung darüber, wie sehr man ihn gedemütigt hatte, war er entschlossen, die unverteidigte Stadt zu besetzen. »Centurionen!« rief er. »Wir wollen diese Judenbande lehren, was es bedeutet, die Felder zu verlassen!« Die Cohorten und Manipeln traten an. Aber da fiel sein Blick auf die Äcker. Er sah Frauen pflügen und Männer säen, er sah, daß an der Ölpresse gearbeitet wurde, und sah auf diesen Feldern von Makor den gleichen derben Bauernschlag, der Rom einst stark gemacht hatte: Männer und Frauen, die ihre Freiheit liebten, in ihrer starrköpfigen Weise ihren Gott verehrten, die ihre Tribute entrichteten und Nahrung schufen für das Römische Reich. Sein eigenes Gut in Istrien kam ihm in den Sinn, und er dachte an die Befriedigung, die er empfunden hatte, wenn er selbst zupackte. Er hob den Feldherrnstab. »Wir marschieren weiter nach Ptolemais«, sagte er ruhig. So besiegte Makor, indem es seinem Gott anhing, die Macht des Imperium Romanum.
Man kann zehntausend Seiten Weltgeschichte lesen und nichts darauf finden als Mißbrauch der Macht und enttäuschte Hoffnungen. Doch dann und wann stößt man auf Gestalten wie diesen Feldherrn Petronius, der, im Grunde seines Herzens ein griechischer Philosoph, nicht einen Juden töten und Makor nicht zerstören ließ. In Ptolemais angekommen, befahl er, die Statuen zu verpacken. Seine Legionen gingen an Bord von Transportschiffen, zurück nach Syrien. In Antiochia verfaßte Petronius seinen Bericht an den Kaiser: »Hehrer Gott, Inbegriff der Macht,
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