Die Quelle
Racheforderung an die Juden sollte eingetrieben werden.
... Der Teil
Über einen besonderen Aspekt des Lebens in Israel bekamen die Ausländer nur selten offene Auskunft, und zwar nicht etwa, weil die Israelis sich in dieser Sache doppelzüngig verhielten, sondern weil kein Einheimischer das Problem in gleicher
Weise sah wie die Fremden. Ein merkwürdiger Zufall wollte es, daß gerade John Cullinane über dieses Thema gründlich informiert wurde. Aber als er nun wirklich im Bilde war, mußte er feststellen, daß er mit niemandem darüber reden konnte, denn die anderen hatten an seiner Erfahrung nicht teilgehabt. Von seiner früheren Arbeit in Israel her hatte Cullinane einen recht guten Überblick über die jüdische Geschichte; so wußte er auch, daß es zwei große Gruppen von Juden gibt, die ursprünglich aus Deutschland stammenden Aschkenasim und die Sefardim, die einst in Spanien und Portugal beheimatet gewesen waren. Allerdings hatte er stets angenommen, daß man diese vereinfachende Unterscheidung seit langem aufgegeben habe. Deshalb wunderte er sich, wenn er immer wieder versteckte Anspielungen in der Presse entdeckte.
»Was ist das eigentlich für eine Sache mit den Aschkenasim und den Sefardim?« fragte er Eliav. »Völlig belanglos.«
»Werden die Juden eigentlich immer noch in diese beiden Gruppen eingeteilt?«
»Ja.« Offensichtlich wünschte Eliav das Gespräch nicht fortzuführen. »Zu welcher gehören Sie?«
»Ich bin natürlich Aschkenasi.«
Cullinane hatte den Eindruck, daß sein pfeifeschmauchender Kollege auf seine Herkunft stolz sei. Als er später Vered in der gleichen Angelegenheit befragte, antwortete sie sogar noch kürzer als ihr Verlobter. »Eine bedeutungslose Unterscheidung«, bemerkte sie fast schnippisch. »Was bist du?«
»Aschkenasi natürlich.« Und sie schien ebenfalls stolz darauf zu sein. Aber gerade damals fand Cullinane in den Zeitungen allerlei Bemerkungen etwa des Inhalts: »Die Sefardim können ihre Position in Israel nur durch eine gute Ausbildung verbessern.« Er fragte Vered, was das zu besagen habe.
Abermals wurde er kurz abgefertigt: »John, es handelt sich da um ein Erziehungsproblem von untergeordneter Bedeutung, dessen wir uns zu gegebener Zeit annehmen werden.« Einige Tage später aber las er, was einer der führenden Köpfe der Sefardischen Gemeinde - was das war, wußte Cullinane nicht
- geschrieben hatte: »Hinsichtlich unserer Ausbildung werden wir Sefardim in wahrhaft empörender Weise benachteiligt, wie übrigens auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens in Israel.« Wiederum fragte Cullinane, was das bedeute, und wiederum antwortete Vered kurz angebunden: »Das verstehst du doch nicht, John.«
Da von seinen Kollegen keine befriedigende Auskunft zu erhalten war, holte sich Cullinane Rat in der Bibliothek. Was er in den Nachschlagewerken fand, bestätigte ungefähr seine Auffassung: In der Thora - im Ersten Buch Mose, Kapitel 10 -erscheint ein Volk, das Aschkenas genannt wird. Seit dem Mittelalter wird dieser Name für Deutschland benutzt. Und da die Juden von dort aus nach Frankreich, vor allem aber nach Polen und Rußland und später nach Nordamerika vertrieben wurden oder auswanderten, galten die meisten Juden in der westlichen Welt für Aschkenasim. Als Sefardim wurden die Juden bezeichnet, die von der Pyrenäenhalbinsel aus über Teile Europas, insbesondere aber über Nordafrika und den Orient zerstreut wurden. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren die Sefardim sozusagen die Aristokratie der Juden geworden, die Aschkenasim dagegen vorwiegend wenig gebildete Handwerker und Händler. Die Sefardim hatten dem Judentum viele große Persönlichkeiten gestellt - Maimonides und Spinoza beispielsweise -, und auch in Amerika bildeten sie eine Elite, für die Männer wie Benjamin Nathan Cardozo vom Obersten Bundesgericht charakteristisch waren. Doch seitdem mit der Emanzipation auch den Juden Mittel- und Osteuropas der Zugang zu Recht und Bildung möglich geworden war, hatten die Aschkenasim sich bald als überlegen erwiesen, und der einst so ehrenhafte Name Sefardi verlor an Gewicht und wurde nun allen Juden gegeben, die keine Aschkenasim waren, gleichgültig ob sie in irgendwelcher Beziehung zu Spanien standen oder nicht. So war Sefardim zur recht ungenauen Bezeichnung für alle orientalischen Juden geworden - im Gegensatz zu den europäischen Juden -, für die unterste Schicht im Gegensatz zu den hochgebildeten Juden aus Deutschland oder
Weitere Kostenlose Bücher