Die Quelle
Eimern voll Wasser und mit Nahrung geschickt. Kein Erwachsener dürfe etwas anrühren; die Kinder jedoch sollten am Leben erhalten werden, so lautete der Befehl des römischen Feldherrn. Drei Tage darauf versammelten sich die Oberen der Juden von Galilaea in Tiberias, der prunkvollen neuen Stadt, die Herodes Antipas, der Sohn des Herodes des Großen, erst unlängst an den Gestaden des Sees Kinneret - den wir heute See Genezareth nennen - hatte erbauen lassen. Dort setzte Petronius auseinander, was sein Auftrag war. Begreiflicherweise waren Jigal und Naaman nicht anwesend, denn sie galten in Makor keineswegs als Leute von Rang und Ruf. Statt ihrer war der vorsichtige Simeon dort, begleitet von Amran und anderen Ältesten; aus den Dörfern der Umgegend war allerdings eine Anzahl tapferer junger Männer von der Art Jigals gekommen. Alle lauschten dem Römer, der um Verständnis und Nachgiebigkeit warb. »Ich bin Soldat und als Soldat verpflichtet, dem Gesetz meines Kaisers zu gehorchen. Wenn ich es breche und euch erlaube, den Statuen euer Land zu sperren, werde ich hingerichtet. Dann werde nicht mehr ich, sondern dann wird Kaiser Caligula selbst euch den Krieg ins Land bringen. Und er wird euren sterbenden Kindern kein Wasser schicken. Er wird jeden Juden in Judaea erschlagen lassen.«
»Erschlagen lassen müssen«, antwortete einer der jüngeren Juden. Die anderen stimmten zu.
»Wollt ihr vielleicht gegen den Kaiser kämpfen?« fragte Petronius. »Sterben werden wir. wir alle, eher sterben, als seine Statuen ins Land lassen.«
Hin und her gingen die Erörterungen, denn trotz aller Warnungen und Drohungen des Römers blieben die Juden hart. Petronius versuchte sie umzustimmen, indem er an ihr eigenstes Interesse appellierte: »Wollt ihr denn wirklich nicht als nützliches Glied teilhaben am großen Imperium?« Er versuchte es mit wirtschaftlichen Argumenten: »Was ist denn das für ein Bauer, der seine Felder zur Saatzeit brachliegen läßt?« Er versuchte es mit religiösen Spitzfindigkeiten: »Andere Völker des Reiches nehmen Caligula als Gott an, verehren aber heimlich ihre alten Götter. Könnt ihr es nicht auch so machen?« Und als ein Mann von Ehre, in der Philosophie Griechenlands ebenso bewandert wie erfahren in der Kriegskunst, versuchte er, sie von Mensch zu Mensch anzusprechen: »Wollt ihr mich denn zwingen, Frauen und Kinder erschlagen zu müssen - und ich muß es tun, wenn ihr euch noch länger weigert?« Als er das sagte, begriffen die Juden. Dieser Petronius war bereits entschlossen, sie nicht in Mengen hinschlachten zu lassen - auch wenn ihm sein Entschluß vielleicht noch gar nicht bewußt war. Jeden Morgen erwachte der Edelmann - denn ein Edelmann in des Wortes höchster Bedeutung war Petronius - mit den gleichen Sorgen, nahm ein leichtes Frühstück zu sich, trat sinnend auf den Balkon des Palastes und blickte auf die herrlichen Berge, die den See Kinneret umgeben. Dann ging er hinab, zu neuen Auseinandersetzungen mit den halsstarrigen Juden. Mittags aß er mit seinen Centurionen, und nachmittags begab er sich zu Fuß in die heilsamen Bäder von Tiberias. Im heißen Wasser liegend, das aus einer unterirdischen vulkanischen Quelle sprudelte, bemühte er sich, den Zwiespalt zu vergessen, in den ihn Kaiser Caligula gebracht hatte. Er betete um ein Wunder, das ihn von seinen Sorgen befreien konnte, betete, daß der längst überfällige Dolchstoß des Tyrannen Herz treffen möge. Aber das Wunder geschah nicht.
Als er wieder einmal vor den Juden stand, schrie er sie an: »Seit Wochen tretet ihr vor mich hin und habt nicht einmal so viel Anstand, daß ihr mir hier den Mann vorführt, der den ganzen Streit angefangen hat. Also werde ich ihn mir selbst holen!« Er schickte einen Boten nach Makor und ließ Jigal kommen. Mit dem jungen Juden ging Petronius zu den heißen Bädern. Er lachte, als der Jude sich nicht entkleiden wollte. »Beschnittene habe ich schon gesehen«, scherzte er und überredete Jigal dazu, mit ins Bad zu kommen. Und dort -ohne die Rüstung des Ruhms und den Dünkel persönlicher Ehre - besprachen sich die beiden.
»Junger Mann«, sagte Petronius eindringlich, »wenn ihr Juden mir jetzt Widerstand leistet, werdet ihr es später mit Caligula zu tun haben. Er ist ein grauenhafter Gegner. Er läßt euch bei lebendigem Leib verbrennen wie Strohpuppen. Oder er läßt auf jeder Anhöhe Dutzende von euch kreuzigen.«
»Dann werden wir eben sterben«, antwortete Jigal schlicht.
Die beiden
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