Die Quelle
widersetzen oder gar den Trotz der Juden tatenlos hinzunehmen - das bedeutete für alle den Tod. »Ich hebe jetzt meinen Arm«, sagte der Heerführer ärgerlich und mahnend zugleich. »Wenn ich ihn wieder senke, marschieren wir, und wenn uns dann Juden im Wege liegen.« Da stand der römische Feldherr, hinter sich eine riesige Macht. Waffen und Rüstungen blitzten in der Sonne. Da stand er und blickte auf die beiden widerspenstigen Juden, Hilfsarbeiter bei der Ölpresse der eine, Landarbeiter ohne eigenes Land der andere, und hob mit der Rechten den elfenbeinernen Feldherrnstab. Er schien zu zählen, doch war seine Stimme nicht zu vernehmen, denn die Juden murmelten jetzt ein Gebet. Nur eines alten Mannes klare, sanfte Stimme übertönte das Murmeln: »Höre, Israel, der HErr, unser Gott, ist der Einzige Gott.« Die Centurionen hatten ihre Schwerter gepackt. Die Sklaven traten zur Seite, ins blendende Sonnenlicht empor hielten sie Caligulas Büste. Mit hochgerecktem Arm blickte Petronius auf Jigal und Naaman, die als erste sterben mußten. In diesen Augenblicken höchster Spannung hörte man nur das Murmeln der Juden. Da begriff der Feldherr, daß die beiden ihre Leute niemals auffordern würden, die Straße freizugeben.
»Bringt die zwei in die Stadt zurück«, befahl Petronius. Den Arm noch immer erhoben, wandte er den unbewegt auf der Straße sitzenden Juden den Rücken. »Auch die Truppen zurück in die Stadt.« Erst als die Kolonne marschierte, ließ er langsam seinen Arm sinken; siebenmal klopfte er mit dem Feldherrnstab gegen sein rechtes Bein. Hinter ihm sangen die Juden. Er hörte, daß es kein Siegeslied war, sondern ein Gesang zum Preis ihres Gottes.
In der Stadt sagte Petronius zu Jigal: »Wir werden euch Juden durch Hunger zur Vernunft bringen.« Er ließ die Juden mit einer Postenkette umstellen und gab strikten Befehl, daß keiner den Platz verlassen dürfe. Den ganzen heißen Tag über lagen die Juden in der Sonne, während Sklaven eine riesige Statue des Kaisers Caligula durch die Stadttore zerrten und vor der dürstenden Menge aufstellten. In der folgenden Nacht -auch sie war bitterkalt - konnten die Posten die Kinder weinen hören. Aber im Mondlicht lächelte das wohlwollende Gesicht des Caligula auf sie herab. Vom Morgen ab gab es keine Rettung mehr vor der brennenden Sonne. Der alte Mann, der das Gebet gesprochen hatte, starb, die Worte »Höre, Israel.« auf den Lippen. Kinder wurden ohnmächtig.
Am Nachmittag gegen vier Uhr, als die Pein am fürchterlichsten geworden war, führte Petronius seine beiden Geiseln hinaus zu der Stätte des Schreckens und fragte Jigal und Naaman, ob sie jetzt endlich bereit seien, ihre Juden abziehen zu lassen. »Wir sind hierher gekommen, um zu sterben«, sagte Jigal nur. Daraufhin wies Petronius einen Sklaven an, Jigal einen Becher kalten Wassers zu geben; während der Jude im Schatten der großen Statue gezwungen wurde zu trinken, rief Petronius den am Boden Ausgestreckten zu: »Seht, er leidet nicht. Er hat Wasser genug.« Mit eigenen Händen goß der Feldherr den Rest zu Füßen des Gottkaisers aus, wo die ausgedörrte Erde das Wasser sofort aufsog. Und den trockenen Staub mit dem Fuß aufwirbelnd, schrie Petronius: »Hört nicht auf diesen Narren. Zieht ab. Geht nach Hause!«
Keiner rührte sich; die dritte kalte Nacht kam, ohne Wasser, ohne Nahrung. Am nächsten Tag starb ein Kind. Da spürte Petronius ein Brennen in seiner Kehle, als stehe sie in Flammen. Eine Zeitlang kämpfte er gegen das würgende Gefühl an, dann war sein Entschluß gefaßt. »Laßt die Sklaven die Statue zurücktragen«, befahl er. Als dies geschehen war, nahm er Jigal und Naaman mit sich zum Stadttor. »Führt eure Juden nach Hause«, sagte er ruhig, »und benachrichtigt alle eure Oberen. Sie sollen in drei Tagen in Tiberias vor mich hintreten. Dort werden wir beschließen, was zu tun ist.«
Wie betäubt ging Jigal von Ptolemais hinaus zur Ebene, wo die Juden von Makor lagen, dem Tode nahe. Und er sah sie elend und mit Staub bedeckt: Schelomo, mit dem er als Kind gespielt hatte; Ascher, dessen Schwester er zur Frau genommen hatte; Beruria, die ihm seine Kinder geboren hatte. Wie gern hätte er jedem einzelnen auf Knien gedankt! Denn diese einfachen Menschen hatten allein durch ihren Glauben die Macht der römischen Legionen zunichte werden lassen. Zu sprechen vermochte er nicht. Aber da hörte er ein Geräusch und das freudige Schreien von Kindern: Petronius hatte Sklaven mit
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