Die Quelle
den Offizieren konnte Jigal einige der riesigen weißen Statuen sehen, die nun von Sklaven viele Monate lang bergauf, bergab geschleppt werden sollten. Aus vierzig Marmorgesichtern blickte Caesar Caligula, der Gott, wohlwollend auf die Szene hinab.
»Hochachtbarer Feldherr«, sagte Jigal, »wenn du jene Statuen in unser Land bringen willst, wirst du uns alle, die wir in der Ebene lagern, töten müssen.« Die schlichte Kraft, mit der er sprach, verblüffte den Feldherrn zunächst. Doch schnell fand Petronius seine Fassung wieder und packte den sanften Juden an der Kehle. »Willst du etwa der Macht Roms trotzen?« fragte er.
Naaman legte sich ins Mittel. »Nicht gegen Rom richten wir uns, Herr. Täglich zweimal bringen wir Rom Opfer dar. Wir dienen in euren Heeren und zahlen euch Steuern. Aber wir können in unserm Land keine Bildwerke dulden, weder solche von Göttern noch solche von Menschen.«
»Das wird sich zeigen«, donnerte Petronius und stieß Jigal zur Seite. »Die Legionen sollen abrücken.« Die Tore wurden geöffnet. Die Centurionen riefen ihre Befehle, die Decurionen gaben sie an ihre Männer weiter. Die Centurien setzten sich in Marsch. Aber als die erste Kolonne das Tor erreichte, gab Petronius, einer plötzlichen Eingebung folgend, das Zeichen zum Halt. »Bringt das kleinste Kaiserbild nach vorn«, rief er. Schnell holten Sklaven eine schöne schwarze Marmorbüste des Caligula herbei, die ihn mit Weinranken im Haar zeigte und mit wohlwollenden Augen in tiefen Höhlen. (In unserer Zeit gilt eine solche Büste wohl als großartiges Kunstwerk, von jedem Museum gehegt und gepflegt.) »Der Gott wird uns voranschreiten auf unserem Marsch durch Judaea«, verkündete Petronius. Und so, mit dem Vortrupp aus Sklaven, zogen die Centurien, Manipeln, Cohorten und Legionen ins Land der Juden.
Doch kaum war eine kurze Strecke zurückgelegt, geriet die Marschkolonne ins Stocken. Vierhundert Juden aus Makor -aus diesem bedeutungslosen kleinen Ort, von dem kaum ein Römer je gehört hatte - lagerten auf der Straße und versperrten sie. Die Sklaven, die das den Juden so anstößige Bildwerk trugen, blieben unschlüssig stehen. Centurionen stürzten mit gezogenen Schwertern nach vorn. Aber die Juden gaben den Weg nicht frei, und die Römer zauderten, ob sie ohne ausdrücklichen Befehl ihres Feldherrn auf die Juden einhauen sollten. Kein Jude war bewaffnet.
Vom Nachtrab her eilte Petronius heran, neben ihm seine Gefangenen Jigal und Naaman. Nun sah der Feldherr selbst, daß die Juden wirklich entschlossen waren, sich eher niedermachen zu lassen, als den Statuen den Weg freizugeben
- diese Juden, weniger als fünfhundert, und davon mehr als die Hälfte Frauen und kleine Kinder. Er dagegen hatte etwa achtzehntausend Bewaffnete. Wenn er den Befehl gab, war das Gemetzel in einer Viertelstunde erledigt. Und doch -Petronius, ganz gewiß ein Mann des Krieges, war deshalb noch kein gefühlloser Mann. Er hatte viele Schlachten gewonnen, ohne Frauen und Kinder umbringen zu lassen. Deshalb zögerte er jetzt, wandte sich an Jigal, einen Mann, nicht halb so alt wie er, ungebildet und ohne Auszeichnungen, und sagte: »Laß deine Leute auseinandergehen.«
»Wir werden sterben, hier auf dieser Straße.«
»Centurionen! Straße räumen!«
Sofort stürzten Legionäre mit gezogenem Schwert auf die Juden. Doch als das namenlose Volk aus Makor auch nicht den geringsten Versuch machte, sich zu wehren, gebot Petronius seinen Männern Einhalt. Wütend sagte er zu Jigal: »Junger Mann, wenn die dort nicht gehorchen, müssen wir sie alle niedermachen. Sag ihnen, sie sollen aufstehen und beiseite gehen.«
»Ich habe dir bereits gesagt. wir werden sterben.«
»Warum?« Petronius zeigte verwundert auf die harmlose schwarze Büste des neuen Gottes. »Wegen eines Steins wollt ihr sterben?«
»Ein falscher Gott darf unser Land nicht betreten«, sagte Jigal. Ein falscher Gott. Petronius wußte, daß Kaiser Caligula kein Gott war. Und er wußte, daß Caligula zum - falschen -Gott nur deshalb geworden war, weil er seinen Vorgänger Tiberius hatte ermorden lassen. Und wahrscheinlich fand sich auch bald jemand, der nun Caligula ermordete. Denn dem Wüten dieses Scheusals - der anständige Bürger umbringen ließ, damit er eine Nacht mit ihren Frauen verbringen konnte, die er dann ins Hurenhaus steckte oder in die Sklaverei verkaufte - mußte ein Ende gemacht werden. Noch aber war Caligula Kaiser, und noch war er Gott. Sich seinem Befehl zu
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