Die Quelle
nicht zutraf, befahl er einfach: »Abreißen!« Denen, die aus den Dörfern in den Schutz der Stadtmauer geflohen waren und nun kein Obdach hatten, sagte Josephus: »Schlaft in den römischen Tempeln. Wir befinden uns im Krieg.« Als am Spätnachmittag alle diese Maßnahmen getroffen waren, wandte er sich an Jigal: »Wir haben beschlossen, die Römer bei Makor zu stellen, weil wir wissen, daß ihr einen unterirdischen Brunnen habt. Ich möchte ihn sehen.« So führte Jigal den hitzigen jungen Befehlshaber durch den Davidsstollen zum Brunnen, wo Josephus zu Jigals Verwunderung nicht auf das schimmernde, selbst im Fackellicht klare Wasser blickte, sondern zur Decke hinauf. Weshalb interessiert er sich denn für die Decke? fragte sich Jigal. »Fest?« fragte Josephus und schlug mit der Scherbe eines zerbrochenen Wasserkrugs gegen die Decke. »Sehr dick.«
»Gut«, sagte der junge Feldherr; auf dem Rückweg ging er voran. Beim Schacht angelangt, kletterte er die Stufen so schnell hinauf, als sei er ein Athlet, während Jigal hinterherkeuchte.
Wo immer Josephus in den nächsten Tagen erschien, wirkte seine Tatkraft ansteckend. Die Arbeiter auf der Mauer feuerte er an, ein wenig schneller und ein wenig höher zu bauen, und packte selbst mit zu. Die Frauen, welche die Steine von den abgedeckten Häusern herbeitrugen, brachte er mit allerlei Scherzen zum Lachen. Er besichtigte alle Zisternen, um festzustellen, ob sie voll waren, und befahl, daß jedes Haus außerdem Krüge mit Wasser bereitzuhalten habe, um für einen Brand oder für den Fall, daß die Römer den Brunnen besetzten, gerüstet zu sein. In der Synagoge versuchte er, Rab Naaman und die anderen alten Schriftgelehrten zu überzeugen, daß Makor recht daran tue, den Römern Widerstand zu leisten; zwar vermochte er Naaman nicht umzustimmen, doch war er gar nicht überrascht, daß es ihm gelang, die anderen auf seine Seite zu ziehen. Am Abend des vierten April legten sich die Bürger der Stadt zur Ruhe, voller Vertrauen auf die Worte des begnadeten jungen Feldherrn: daß Makor den Legionen die Stirn zu bieten vermochte.
Nur zwei Bürger Makors fanden keine Ruhe. Der eine war Rab Naaman. Er saß allein in der Synagoge, sann nach über das, was der Stadt bevorstand, und betete: »Allmächtiger, Deine Kinder wollen einen Krieg beginnen, aber nur wenige begreifen, was das bedeutet, und blind geraten sie in ihn hinein. Zerstörung steht vor den Toren und die Zerstreuung der Stämme. HErr, beschütze uns in kommenden Zeiten. Und wenn nach den Ägyptern, den Assyrern und den Babyloniern die Römer unsere neuen Herrscher sein sollen, so laß uns einen Weg finden, als Gefangene in ihren Lagern zu leben.«
Der zweite war Jigal. Gewiß, der junge Feldherr hatte sein Vorhaben unterstützt, und von Josephus war mit Erfolg erreicht worden, was Jigal nur vorgeschlagen hatte: Die Stadt war zur Verteidigung bereit. Aber wenn Jigal über den Befehlshaber von Galilaea nachdachte, so entdeckte er vieles, was ihm gar nicht gefiel: Die Tatkraft dieses Mannes war ganz darauf abgestellt, jedermann zu zeigen, wie tüchtig er sei; seine Begeisterung blieb immer die gleiche, um was es auch ging; er benahm sich, als könne er jeden zu seiner Überzeugung bekehren, wenn er nur lange genug auf ihn einredete; gleich einem schlauen Griechen verstand er, die Tatsachen so zu verdrehen, daß sie immer nur für ihn sprachen; sein Wunsch, die Quelle zu besichtigen, vor allem aber die Frage nach der Decke erschien doch recht verdächtig. Mit schlimmen Vorahnungen schritt Jigal durch die Abenddämmerung und trat in sein kleines Heim, wo Beruria, die drei Söhne, ihre Frauen und die elf Enkelkinder auf ihn warteten. Er legte sich den weißen wollenen Gebetsmantel um die Schultern, den er stets trug, wenn er mit der Familie Gottesdienst hielt: »Allmächtiger, Ewiger, wir werden bald um Deinetwillen kämpfen. Aber ich bin voller Sorge. Ich habe versucht, nach Deinen einfachen Lehren zu erklären, warum wir uns den Römern widersetzen müssen, aber niemand hat mich verstanden. Nun aber sind sie alle bereit, dem jungen Feldherrn zu folgen, der ihnen gar keine Gründe angibt. Nicht aus Frömmigkeit, sondern aus Überheblichkeit gehen sie in den Krieg, und sie denken nicht an die Folgen. Vater und Lenker unserer Geschicke, führe Du uns. Laß jeden in diesem Zimmer sich mit Tapferkeit gürten für die kommenden Tage.« Schweigend betete er weiter. Aber in der Stille des Zimmers glaubte seine Frau, den Tritt
Weitere Kostenlose Bücher