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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Naaman, warum vergißt du die Tapferkeit, die wir einst bewiesen haben?«
    »Weil seither ein Vierteljahrhundert verstrichen ist und weil ich seitdem Weisheit erlernt habe«, sagte der Alte. »Feigheit hast du erlernt.«
    Eine solche Beleidigung hätte der Rab unter gewöhnlichen Umständen übelgenommen. An jenem Abend ging er über sie hinweg. »Du denkst an Makor, ich dagegen denke an die Zukunft des jüdischen Volkes«, erklärte er und redete langsam, damit Jigal seinen Gedanken folgen konnte. »Wir leben in einer Zeit, da Rom uns auslöschen kann, uns in Judaea für immer ausrotten kann. Jigal, begreifst du, was das besagt?«
    »Ich begreife nur eines: Sie wollen unseren Glauben vernichten. Steinbilder anbeten? Fremde Götter? Diese Greuel kann ich nicht hinnehmen.« Der Alte nickte. »Recht hast du.
    Uns droht Vernichtung unseres Glaubens. Doch nicht, wenn wir hierbleiben. Wenn die Römer uns aber aus diesem Land vertreiben. im Land unserer Sklaverei wird keine Synagoge stehen. Wir sind in schrecklicher Gefahr, Jigal, und du willst wegen eines kleinen Bauernhofs kämpfen.«
    »Der Allmächtige lebt von einem kleinen Bauernhof«, sagte Jigal. Rab Naaman beugte das Haupt. Falls der HErr ein Bauer war, mochte ein kleiner Olivenhain Ihm sehr kostbar sein, doch diese Frage stand nicht zur Diskussion. »Wie einst Gomer, so fürchte auch ich, daß wir Juden Jerusalem vergessen, wenn wir aus Erez Israel vertrieben werden«, sagte er. »Unser Volk wird in kleine Gruppen zerfallen. In der Zerstreuung werden wir keine Juden bleiben, und der Allmächtige wird allein sein und ohne Volk, das Ihn verehrt. Unsere einzige Pflicht ist jetzt, zusammenzustehen. und unseren Platz in Erez Israel zu halten.« Dann fügte er mit leiser Stimme hinzu: »Und um unseren Platz in Erez Israel, im Land Abrahams, zu behalten, werde ich jeden Schimpf der Römer ertragen.«
    »Selbst Nero als Gott?«
    Rab Naaman war sich bewußt, Entsetzliches auszusprechen, und senkte die Stimme noch mehr. »Um die Juden zu retten, würde ich sogar Nero anerkennen. als Gott anerkennen. doch nicht in meinem Herzen.«
    »Ich werde ihn nie und nimmer anerkennen«, sagte Jigal und verließ den Rab. Die Kluft zwischen den beiden war zu tief geworden, als daß sie hätte überbrückt werden können. Allenthalben in Makor predigte Jigal die Notwendigkeit des Widerstands, aber der alte Naaman ging überredsam von Haus zu Haus und erklärte, wie töricht die Ansicht des Landarbeiters sei. »Macedonica, Fretensis, Apollinaris«, rezitierte er, und die tönenden Namen senkten Furcht in die Herzen der Juden.
    Rab Naaman hätte sich durchgesetzt, und der Kampf mit Rom wäre vermieden worden, wenn nicht wie ein Wirbelwind einer der außergewöhnlichsten Juden aller Zeiten in die Stadt eingebrochen wäre - erhitzt und staubig von langem Marsch, begleitet von einer ausgesuchten Mannschaft, die bereit war, jeden seiner Befehle auszuführen. Es war Josephus, erst neunundzwanzig Jahre alt, Nachkomme jener makkabäischen Patrioten, die dem Antiochos Epiphanes die Freiheit abgetrotzt hatten, aus vornehmem Priestergeschlecht stammend, Gelehrter und profunder Kenner des Griechischen, häufiger Besucher des kaiserlichen Hofs in Rom und einer der bedeutendsten Schriftsteller, die das jüdische Volk je hervorbringen sollte. Dieser Mann war in Jerusalem zum Befehlshaber in Galilaea ernannt worden. Wie ein junger Gott eilte er auf das Forum und rief: »Von dieser Stadt aus werden wir die Römer zurücktreiben.« Und nachdem er einen anerkennenden Blick auf die Mauern geworfen hatte: »Männer von Makor, ihr seid auserwählt!«
    In wenigen Stunden gelang es ihm, die Bürger zu überzeugen, daß Jigals Plan richtig sei und nicht Naamans Vorschlag. »Als für den Norden des Landes verantwortlicher Heerführer sage ich euch: Wenn wir Vespasian mit all unserer Kraft entgegentreten, werden uns die römischen Legionen niemals schlagen können.« Die Menge jubelte, und noch ehe Rab Naaman seine vorsichtig mahnenden Einwände vorbringen konnte, hatte Josephus schon die Bürger in Kampfgruppen eingeteilt, hatte seinen Offizieren Aufgaben zugewiesen, hatte Jigal wie einen Dienstboten zur Olivenpresse geschickt, damit er alles vorhandene Öl bringe, und sich umgesehen, wie die Mauern zu verstärken waren. Häuser, die über die Mauer hinwegragten, wurden genau überprüft: Konnten auf ihren Dächern Krieger stehen? Konnten ihre Wände den römischen Belagerungsmaschinen standhalten? Wenn beides

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