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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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war sich völlig klar darüber, daß die Lage jetzt ganz anders war. Damals hatte Rom lediglich Statuen eines wahnwitzigen Kaisers einführen wollen, und das Heer konnte in allen Ehren von einem so törichten Ansinnen ablassen. Diesmal hingegen kamen die Legionen, um für bewaffneten Aufruhr Vergeltung zu üben, und wenn Vespasian erst einmal von Ptolemais abmarschiert war - wer wollte ihn dann zur Umkehr veranlassen? Jigal wußte, wie groß die Gefahr war. Deshalb unterließ er jedes Aufwiegeln, rief nicht: »Wir haben sie vor fünfundzwanzig Jahren abgewehrt, wir werden sie wieder abwehren«, sondern sagte ehrlich seine Meinung und bat seine Mitbürger, die derzeitigen Umstände zu bedenken und sich ihnen zu stellen.
    »Falls wir Vespasian hier in Makor ernsthaften Widerstand leisten können, zwingen wir ihn vielleicht dazu, sich anders zu besinnen.«
    Doch Naaman entgegnete: »Ich habe von einem Kaufmann in Ptolemais erfahren, daß Vespasian bereits drei Legionen zusammengezogen hat, die Fünfte, die Zehnte und die Fünfzehnte.«
    »Drei römische Legionen haben eine furchtbare Kampfkraft«, gab Jigal zu. »Aber vor zweihundert Jahren haben sich hier in dieser Stadt Juden wie wir gegen Antiochos Epiphanes zur Wehr setzen müssen, und unter der Führung des Juda Makkabi gelang es ihnen, sich zu behaupten.«
    »Wer wird uns diesmal führen?« fragte Naaman verächtlich. »Einer, der uns führt, findet sich immer«, sagte Jigal.
    »Weißt du auch wirklich, was drei römische Legionen bedeuten? Drei Legionen zertreten Makor wie eine Mandelschale. Das einzige, was uns bleibt, ist, uns zu unterwerfen und auf ihre Milde zu vertrauen.«
    »Wenn das Übel über eine Stadt kommt«, widersprach Jigal starrsinnig, »bleibt nur eines zu tun. Sie muß sich wehren. Wir haben zu essen. Wir haben Mauern, und wir haben Wasser. Ich sage: Wehrt euch.«
    Die Juden von Makor, deren Leben schließlich von dem abhing, was sich aus dem langen Streitgespräch der beiden ergab, wollten wissen, warum ein sonst so verträglicher Mann wie Jigal plötzlich gegen die bewaffnete Macht Roms zu kämpfen wünschte. Mit ruhiger Stimme, manchmal nach Worten und genauen Ausdrücken suchend, erklärte Jigal: »Ihr kennt mich als einen friedfertigen Mann. Meine Sehnsucht war immer, noch an den Hochzeiten meiner Enkel teilnehmen und mit meinen Urenkeln spielen zu können. Ich bin ein unwissender Mann und kann mich deshalb nicht um ein Amt bewerben. Rab Naaman steht der Synagoge vor. Ich will Rom nicht bekämpfen, aber Rom besteht darauf, mich zu bekämpfen.«
    »Rab Naaman sagt, sie werden heimkehren und uns in Frieden lassen, wenn sie die Zeloten in Jerusalem bestraft haben. Was meinst du dazu?«
    »Vielleicht hat er recht«, gab Jigal zu. »Ich meine jedoch, sie werden bleiben und unseren Glauben austilgen.«
    »Was willst du eigentlich, Jigal?«
    »Was ich will? Ich will Jude sein. Warum sage ich denn: >Kämpft gegen Rom    »Dann denkst du also, wir sollten kämpfen?«
    Jigal wischte sich den Schweiß von der Stirn; es war keine einfache Frage, die ihm da gestellt wurde. Sollte eine so unbedeutende Stadt versuchen, drei römischen Legionen Widerstand zu leisten? Aber er zwang sich zur Antwort und sagte: »Ja. Wir sollen kämpfen.«
    Da jedoch erhob sich Rab Naaman. Mißbilligend seinen Bart streichend, sprach er mit dem ganzen Gewicht seines Alters und seiner Weisheit zu den Bürgern: »Wir alle kennen Jigal als einen ehrlichen Landarbeiter. Wenn von Olivenöl die Rede ist, achten wir sein Urteil. Von Rom aber versteht er nichts. Er kann sich nicht vorstellen, was eine Legion heute bedeutet. Und noch dazu Macedonica, die über Europa dahingefegt ist; Fretensis, die Asien gedemütigt hat; und obendrein noch Apollinaris von Ägypten. Die will er besiegen!« Die Zuhörer lachten auf, als Rab Naaman drei Finger seiner rechten Hand durch die Luft marschieren ließ. Dann fügte er in gebieterischem Ton hinzu: »Wir werden uns Vespasian ergeben, ehe er die Stadtmauern erreicht. Und eure und meine Kinder werden mit den Römern in Frieden leben.« Alle stimmten ihm zu.
    Beschämt über das Verhalten der Nachbarn folgte Jigal dem alten Naaman auf dem Heimweg, und als die beiden Männer in dem mit Pergamenten angefüllten Zimmer des Rab saßen, fragte der Landarbeiter: »Rab

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