Die Quelle
hochsommerlichen Bergwind bog. Auf die Spitze des Farns setzte Jochanan einen Bienenfresser aus pastellblauen und gelben Würfeln und Stückchen Purpurglas für die Flügelspitzen. Bedächtig formten Vater und Sohn in der Synagoge von Makor ein Abbild des innersten Wesens ihrer Heimat: die geschwungenen Hügel und die silbrigen Gewässer, den Wiedehopf mit seiner Federholle in Lila und Weiß, die Umrisse seines Schwanzes mit Purpurglas aus Ptolemais. Niemals kam den beiden in ihrer Bescheidenheit der Gedanke, daß hier ein Meisterwerk entstand - nur von Zeit zu Zeit erfühlten sie, daß sie einen stummen Lobgesang auf die Lieblichkeit Galilaeas schufen, auf all die Lieblichkeit, die sie auf ihren Wanderungen kennengelernt hatten. Schließlich kam der Tag, da in einer Ecke der Fläche ein Ölbaum verlegt werden mußte. Jochanan trat beiseite und sah anerkennend zu, wie Menachem seinen ersten Versuch unternahm, selbständig ein Bild des Baumes zu gestalten. Mit braunen, silbergrauen und grünen Steinen und ein paar roten und blauen Tupfern zauberte er einen lebenswahren Baum auf den Boden der Synagoge, und Jochanan sah, daß sein Sohn ein Künstler war. Doch mit jedem Steinchen, das er verlegte, wurde der Knabe älter. Sechzehn Jahre zählte er nun und hatte damit das Alter erreicht, in dem jüdische Jugendliche verlobt wurden. Wenn er morgens an der Mühle arbeitete, hörte er Jael zu, die, nun ein auffallend hübsches Kind mit flachsblondem Haar, über die Hochzeit von diesem und jenem Paar schwatzte. Unter anderen Umständen hätte ein junger Mann wie Menachem, der seinen guten Verdienst hatte und stattlich anzusehen war, als willkommener Bräutigam gegolten; aber kein Oheim irgendeiner Nichte in heiratsfähigem Alter kam zu Jochanan, um mit ihm über einen Ehevertrag zu sprechen, und die letzten Jahre der Arbeit am großen Mosaik vergingen in zunehmendem Verdruß.
Menachem wurde achtzehn, er wurde neunzehn, und das Netz des Gesetzes schloß sich immer dichter um ihn. Die meisten jungen Männer seines Alters waren nun schon verheiratet, einige hatten bereits Kinder, doch kein Mädchen der Stadt sah ihn an - nur Jael ausgenommen, die zu einer Schönheit herangewachsen war. Mit ihren fünfzehn Jahren empfand sie es jetzt als peinlich, bei der Mühle auf Menachem zu warten. Manchmal aber begegnete sie ihm wie zufällig, wenn er von der Mühle zur Synagoge ging, wo die Arbeit sich nun ihrem Ende näherte.
Dann und wann verließen die beiden die Stadt, hinunter zu den Ölbäumen, und dort, neben dem alten Baum, in dessen Höhlung Menachem einmal geschlafen hatte, küßte er eines Abends die Tochter des Rabbi. Bei diesem ersten Kuß war es ihm, als sei für ihn eine neue, bessere Welt geschaffen worden, und zum erstenmal seit seiner Kindheit erlebte er das Gefühl inniger Zugehörigkeit: Seine Liebe zu Jael war fortan die größte Hoffnung seines sonst so traurigen Lebens. Die folgenden Jahre wurden die schmerzlich-schönsten, die Menachem je kennenlernen sollte: Er durfte nicht offen um Jael werben, aber er konnte sie heimlich küssen - stets in dem bitteren Bewußtsein, daß sie nun das Alter erreicht hatte, da ansehnliche Freier mit verlockenden Anträgen auf den Plan treten mußten. Jaels Heirat wurde nur deshalb hinausgeschoben, weil Rabbi Ascher, ehe er sich um seine Jüngste kümmern konnte, noch eine ältere Tochter an den Mann zu bringen hatte, welche Pflicht ihn in Anspruch nahm, sooft er in Makor war. Im Jahre 350 fand der Grützenmacher jedoch schließlich eine nicht ganz standesgemäße Familie, deren Sohn - er schielte, und viel zu erwarten hatte man nicht von ihm - sich bereit erklärte, die ältere Tochter des Rabbi zu heiraten. Menachem wußte, daß nun Jael an der Reihe war.
So faßte er sich ein Herz. Eines Tages, als er in der Mühle arbeitete und die Säcke füllte, die der Rabbi aufhielt, stieß er hervor: »Rabbi Ascher, kann ich Jael heiraten?«
Der jetzt neunundsechzigjährige kleine Rabbi warf den Kopf nach vorn, so daß sein langer Bart die Grützenflut aufhielt. »Was sagst du da?« fragte er. »Jael und ich. wir möchten heiraten.«
Rabbi Ascher ließ den geöffneten Sack fallen, gleichgültig dagegen, daß Menachem die Grütze über seine Füße verschüttete. Ohne ein Wort verließ er die Mühle und ging zur Synagoge, wo er Jochanan anfuhr: »Wozu hast du deinen Sohn angehalten?«
»Hart zu arbeiten. Geld zu sparen. Und Makor zu verlassen.«
»Und was hast du ihm über meine Tochter
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