Die Quelle
vorgeredet?«
»Ich habe niemals.«
»Das ist nicht wahr!« schrie der Rabbi.
Da er von Jochanan keine Auskunft erhalten konnte, rannte er nach Hause. Jael half ihrer Mutter bei der Arbeit. Uneingeschüchtert durch die Erregung ihres Vaters gab das Mädchen zu, daß sie Menachem liebe. »Er ist so viel klüger als die anderen. Und er arbeitet schwer.«
Ihre Worte verdienten Achtung, denn sie trugen ihre Rechtfertigung in sich. Fünf unbefriedigende Ehen hatte Rabbi Ascher seine älteren Töchter schließen lassen, und fünfmal war es ihm nicht gelungen, einen Ehemann zu finden, der auch nur im entferntesten mit Menachem ben Jochanan zu vergleichen gewesen wäre. In einer Art Verzweiflung hatte er sich jedesmal gezwungen gesehen, Männer hinzunehmen, die faul waren oder nicht strenggläubig oder dumm. Und nun hatte seine jüngste Tochter sich selbst einen Mann ausgesucht, der ein vorbildlicher Ehemann gewesen wäre, einen jungen Mann, der fähig war, die Mühle zu betreiben und wahrscheinlich ein guter Vater wurde. Ohne ein weiteres Wort verließ der Rabbi seine Tochter und ging in die Kammer, in der er zu beten pflegte. Er warf sich auf den Boden und rief: »HErr, was muß ich tun?« Er stand wieder auf, schritt hierhin und dorthin, wiegte seinen Körper, lief vor und zurück und warf sich von neuem der Länge nach in den Staub. Fast eine Stunde betete er und rang mit allem, was ihm Gott, Thora und Gesetz bedeuteten. Schließlich blieb er demütig auf dem Boden liegen, ein kleiner Mann, erschöpft von seinem Ringen mit dem Heiligen, gelobt sei Er!, und unterwarf sich Seinem Urteil. Er war sich klargeworden über das, was er nun zu tun hatte, stand auf, kehrte zu Jael zurück, die still gewartet hatte, und küßte sie mit einer Zärtlichkeit, die selbst für ihn, der sich nie gescheut hatte, seine Liebe zu seinen Kindern zu beweisen, ungewöhnlich war. Schweigend verließ er das Haus und ging zu den Farbküpen, und dort vereinbarte er binnen weniger Minuten die Ehe seiner Tochter Jael mit Abraham, dem Sohn des Färbers Hababli.
In größter Eile wurde die Hochzeit vorbereitet. Am Haus des Rabbi wurde ein Baldachin errichtet, und Krüge voll Wein wurden beim Griechen gekauft, der in der Nähe der alten christlichen Kirche seinen Laden hatte. Am Hochzeitsmorgen aber lief Jael ohne Scheu zur Mühle und stand schluchzend vor dem Geliebten: »Ach Menachem! Dich wollte ich haben.«
Ihr Vater, der mit solcher Unbesonnenheit gerechnet hatte, kam schnell herzu und führte seine Tochter nach Hause. Kein Wort konnte Menachem mehr mit ihr sprechen. Am Abend sah er, hinter der gaffenden Menge stehend, voller Qual zu, wie Abraham, den er als albernen Tölpel und als Maulhelden kannte, mit der goldenen Kappe unter dem Baldachin darauf wartete, daß ihm Jael - aschfahl war sie - zugeführt wurde. Abraham hatte nicht erwartet, daß sein Vater ihm zu einer so schönen Braut verhelfen würde. Als die so klägliche Ehe geschlossen war - Rabbi Ascher selbst hatte die Gebete gesprochen -, als das Glas zerbrochen worden war, nachdem die Neuvermählten daraus getrunken hatten, und die Scherben zu schmerzlicher Erinnerung an die Zerstörung des Tempels zertreten waren, schwor sich Menachem, nicht länger in solcher Pein zu leben.
Er wartete, bis der noch immer ganz verblüffte Bräutigam die Braut davongetragen, wartete bis in die Nacht, als die Gäste, nachdem sie sich am Wein gütlich getan hatten, davongegangen waren. Dann erst suchte er in der Dunkelheit des Olivenhains Zuflucht. Am nächsten Morgen ging er gefaßt zum Haus des Rabbi und bat um eine Unterredung. Der Schriftgelehrte saß in seiner Kammer, sein langer Bart bedeckte seine Hände. »Was wünschst du, Menachem?« fragte er. »Bin ich wirklich zu einem solchen Leben verurteilt?«
Langsam nahm Rabbi Ascher eine Thorarolle herab und öffnete sie bis zu einer Stelle, die er mit dem dünnen Zeigefinger bezeichnete: »>Es soll auch kein Hurenkind in die Gemeinde des HErrn kommen, auch nach dem zehnten Glied nicht.<« Er hob die Hand - die Rolle schloß sich wieder, als habe sie ihr eigenes Leben. »Das kann ich nicht anerkennen. Ich gehe nach Antiochia.«
Diese Drohung kannte Rabbi Ascher bereits. Fast ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Jochanan im nämlichen Raum dieselben Worte gesprochen. Den Steinmetz jedoch hatte die Gewohnheit in Makor festgehalten; er war nicht nach Antiochia gegangen. »Falls du dich in eine andere Stadt flüchtest, findest du dich auch dort im
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