Die Quelle
Menachem, abermals der hoffnungsvollen Botschaft seiner Kirche Ausdruck: »Du bist ein schwerer Sünder gewesen, Jochanan, und deine Sünde sollte fortwirken auf deine Kinder und Kindeskinder. Du bist machtlos, diese Sünde auszulöschen, Er aber«, und er wies auf das Kruzifix an der kahlen Wand, von der es wie ein Licht strahlte, »Er ist eigens gekommen, dich zu retten. Bekenne dich zu Ihm, leg deine Last Ihm auf, und du bist frei.«
»Wird mein Sohn auch frei?«
»Er ist es schon.« Zum Zeugnis dieser Wahrheit legte der hochgewachsene Priester seinen Arm um Menachems Schulter. So aufrichtig und ohne Vorbehalt war diese Geste, daß Jochanan ihrer Wahrhaftigkeit vertraute. Er sah das Leuchten im Gesicht seines Sohnes, der ledig der ihm vom Gesetz auferlegten Bürde dastand; die Aussicht, erlöst zu werden, war so überwältigend für Jochanan, daß er in die Knie fiel und, das Gesicht dem Priester zugewandt, rief: »Nimm auch mich auf.« Das Gefühl der Schuld an seinem Kind verging; auch auf ihn senkte sich sanft das Geheimnis der Bekehrung. Mochten die Feinde der neuen Kirche spotten - in dem Zimmer mit den weißen Wänden wurde dennoch an jenem Morgen eine Sündenlast von den Schultern des Steinmetzen genommen und Christus auferlegt. Jochanan murmelte die Formel, die Eusebios ihm vorsprach, und stand auf als ein neuer Mensch. Der da als ein vom alten Gesetz Niedergedrückter gekniet hatte, war, als er sich erhob, ein unter dem neuen Gesetz freier Mensch geworden. Die öffentliche Taufe Jochanans und Menachems war auf den Freitag festgesetzt worden, auf den Tag, an dem nach dem Glauben der Christen ihr Heiland gekreuzigt worden war. Und doch hatte Eusebios bei der Wahl dieses Tages eine unglückliche Hand gehabt. Denn der Freitag galt den Juden als Rüsttag für den am Abend dieses Tages beginnenden Sabbat. Und daß sie gerade an diesem Tag zwei der Ihrigen verlieren sollten, mußte ihnen als besondere Kränkung erscheinen. Seltsamerweise verwahrten sich die nämlichen Juden, die bis dahin Menachem den Platz in der Synagoge verweigert hatten, jetzt am heftigsten dagegen, daß er sich von ihr abkehren wollte. »Man darf ihm nicht erlauben, so etwas zu tun«, wetterten sie, und einige Gemeindemitglieder erhielten den Auftrag, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Allerdings hätte Menachem nie voraussehen können, wer zuerst mit ihm deswegen sprechen würde.
Es war Jael. Mit schlichten Worten sagte sie, was die Juden von Menachem erwarteten: »Du kannst uns jetzt nicht im Stich lassen, Menachem. Du kannst nicht zu den Fremden übergehen. Es wird Unruhen geben mit den Byzantinern, und du mußt auf der Seite deines eigenen Volkes kämpfen.«
Mit der ganzen Zuversicht, die er mit seinem neuen Glauben gewonnen hatte, lächelte Menachem über Jaels Verständnislosigkeit. »Dein Vater hat mir nie erlaubt, Jude zu sein. Mach jetzt du mich nicht plötzlich zum Juden.«
»Aber du bist doch einer der Unseren. Makor ist auch deine Stadt.«
»Hier entsteht eine neue Stadt«, berichtigte er. »Gib deinem Mann den guten Rat, Frieden zu halten mit den Byzantinern.« »Menachem!«
»Von nun an bin ich Markos. Ein neuer Mensch, neugeboren in Jesus Christus.« Jael wich vor ihm zurück, wie ein Mensch unwillkürlich vor dem Unbegreiflichen zurückweicht, und fragte: »Willst du dich deinen Brüdern als Feind
entgegenstellen?«
»Sie haben sich gegen mich gestellt, seit ich geboren war«, antwortete er. »Frage Abraham.« Schon wollte er Jael an die schlimmen Jahre erinnern, da ihr Mann mit all seinen Freunden ihn durch die Straßen gehetzt und »Hurenkind! Hurenkind!« geschrien hatte. Aber nun, im Gefühl, erlöst zu sein, war Markos entschlossen, diese Erlebnisse zu vergessen - sie hatten keine Macht mehr über ihn. »Am Freitag werde ich zu einem neuen Menschen«, sagte er, »dann bin ich ein Christ und ein Byzantiner und ein Gegner deines Mannes.«
Jael verließ Menachems Hütte, ging schweren Herzens zur Mühle und erzählte ihrem Vater, daß Menachem verstockt bei seinem Entschluß bleibe. Vom eigentlichen Grund ihres Besuches sagte sie nichts, denn sie wollte ihrem alten Vater mit ihrem Wissen von der Bereitschaft der jungen Juden, sich gegen die Byzantiner zu erheben, nicht das Herz schwer machen. Doch das, was sie ihm berichtete, genügte schon, Rabbi Ascher zutiefst zu beunruhigen. Sofort eilte er, staubig und mit nackten Armen, zur Baustelle, wo er statt Menachems
Weitere Kostenlose Bücher