Die Quelle
Soldaten werden immer dreister. Was sie heute morgen getan haben, hast du ja selbst gesehen.«
»Aber er hatte das Lagerhaus in Brand gesteckt.«
»Ich bin es gewesen«, sagte Abraham. Jael nahm seine Hand und hielt sie fest, so lange, bis dieses Gespräch beendet war.
»Du?« fragte Rabbi Ascher. Der ungläubige Tonfall, mit dem er dieses eine Wort sagte, ließ erkennen, wie wenig er von seinem Schwiegersohn hielt. Wollten solche unreifen Dummköpfe das Reich von Byzanz herausfordern?
»Und seit dieser Priester Eusebios hier ist«, rief Jael anstelle ihres Mannes, »ist die Unterdrückung nur noch schlimmer geworden.«
»Nein!« antwortete ihr Vater schroff. »Eusebios’ Wunsch ist es, daß wir in Frieden miteinander leben.«
»Ja! Ja! Ja! Aber so, wie er es sich vorstellt. Er ist die Freundlichkeit selbst, wenn Menachem die Mühle im Stich läßt und bei ihm arbeitet. Und falls unsere Leute ruhig zusehen, wie ihre alten Häuser abgerissen werden, baut er ihnen neue, draußen vor der Stadt. Er tut nichts Unrechtes. Aber alle, die Unrecht tun, fühlen sich durch ihn ermutigt.«
»Wir geben unseren Kampf gegen die Byzantiner nicht auf«, wiederholte Abraham stur. Beim Anblick dieses seines
Schwiegersohnes, dieses, wie er gemeint hatte, so dummen, so stumpfsinnigen Burschen, begriff Rabbi Ascher zum erstenmal, daß in Makor eine neue Generation herangewachsen war, eine Generation, über die er kaum noch Macht besaß.
Während der gleichen Zeit saß Eusebios in seinem kahlen Zimmer an dem Tisch aus rohen Brettern, auf dem Stuhl ihm gegenüber Menachem. »Erzähle es mir nochmals, langsam und ohne Übertreibung«, sagte der Spanier. Menachem hatte, seit er bei Eusebios arbeitete, oft genug Gelegenheit gehabt, die kühl beherrschte Art des Priesters kennenzulernen, hatte erlebt, wie der Priester Tatsache gegen Tatsache wog - welche Häuser abgerissen werden mußten beispielsweise - und eine klare Entscheidung traf, für die er, war sie einmal ausgesprochen, auch die Verantwortung zu tragen bereit war. Menachem hatte ihn als einen gerechten Mann kennengelernt, als einen unermüdlichen Arbeiter. Dieser Priester war gewiß nicht leicht zugänglich, doch man konnte auf ihn bauen wie auf Fels, wenn man ihn überzeugt hatte. Jetzt blickte der Priester auf Menachem. Groß und dunkel starrten seine Augen, seine Wangen waren tief gefurcht. »Langsam und ohne Lügen«, wiederholte er.
Menachem schluckte und sagte: »Mein Vater hat eine Frau geheiratet, die bereits einen Mann hatte.«
»Er hat gesündigt«, sagte Eusebios. »Schwer gesündigt.«
»Dadurch wurde ich zum Hurenkind.«
»Ohne Frage.«
»Ich durfte kein Jude sein, durfte an keinem Gottesdienst teilnehmen.« Menachem zögerte und sagte dann in Erinnerung an eine alte, immer noch schmerzende Wunde etwas Kindliches: »Als ich dreizehn war, durfte ich nicht aus der Thora lesen.«
Eusebios nickte nur, darum fuhr Menachem fort: »Ich durfte nicht heiraten. Ich durfte nicht beten. In Twerija haben mir die
Rabbinen gesagt, was ich tun müsse.« Er konnte nicht weitersprechen.
»Also?« sagte der Spanier; sein Gesicht verriet weder Mitgefühl noch Interesse. »Sie haben mir erklärt. ich selbst könne nie erlöst werden. Aber wenn ich etwas im Wert von zehn Drachmen stehle.« Gequält kamen die Worte, denn sie riefen in Menachem all das Schwere wach, das er hatte durchmachen müssen, damals, als Jael heiratete. »Festnehmen sollte man mich dann, als Sklaven verkaufen, mit einer Sklavin verheiraten, uns später freilassen. Und wir hätten immer noch außerhalb der Gemeinde bleiben müssen. Nur unsere Kinder wollten sie wieder aufnehmen.«
Eusebios saß eine Zeitlang schweigend da und überdachte diese Geschichte, die er beim ersten Anhören nicht hatte glauben wollten. Er ließ die Hand sinken, auf die er sein Kinn gestützt hatte, und neigte langsam sein strenges Haupt, bis sein Gesicht nicht mehr zu sehen war. Menachem begriff: Der Priester betete. Dann blickte Eusebios wieder auf und sah den Juden an, den man gehindert hatte, ein Jude zu sein; in seinen Augen standen Tränen des Mitgefühls. Sein Flüstern klang, als käme es aus den Gewölben einer großen Basilika: »Die Erlösung, die du gesucht hast, Menachem, sie ist dir immer nahe gewesen.« Er drehte sich um und zeigte auf das Kruzifix. »Als Er sich kreuzigen ließ, als Er Sein Leben für dich und mich hingab, hat Er auch die Last der Sünde, die dir aufgebürdet war, auf Seine Schultern genommen.
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