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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Pferd antraben und ritt in den westlichen Teil der Stadt, von wo er über die Felder auf die fernen Mauern von Akka blicken konnte. Jetzt brach die Sonne durch die Wolken. Blendend weiß lag die meerumgürtete Stadt im späten Licht des kalten Nachmittags. Es war, als ob ihre zahlreichen Türme hinabdeuteten auf all die Reichtümer, die dort den Sieger erwarteten. Abd Omar lächelte. Es wird nicht schwerer sein als in Makor, diese Stadt zu nehmen, denn die Christen waren sicherlich ebenso wie hier durch ihre Glaubensstreitigkeiten gelähmt. Und die Juden - ach, diese an ihr Gesetz und ihren Ritus gefesselten Juden waren alles andere denn dazu berufen, die Führung zu übernehmen. »Ein Reich fällt auseinander!« rief er. »Und wir reiten und sammeln die Stücke ein.«
    Jetzt endlich wußte er, was ihm bevorstand, wenn erst einmal Akka gefallen war: Fahrten über das Meer dort draußen, Schlachten in Ländern, deren Namen er noch gar nicht kannte, ein schneller Aufstieg als Truppenführer erst und dann als Heerführer im Kampf für die Verbreitung seines Glaubens über die Welt. Kein Mann, der je auf dem Hügel von Makor stand, hatte einen so grenzenlos weiten Horizont vor sich gehabt, nicht einmal der junge Herodes, der so vieles erreichte.
    Tief atmete der ehemalige Sklave die Seeluft ein. Sein Versuch war gelungen: Er hatte Makor nicht mit Morden und Sengen genommen, sondern mit brüderlichem Mitgefühl. Abd Omar flüsterte: »Das Töten ist vorbei. Die Feuer sind erloschen. Eine ganze Welt können wir gewinnen. Wir brauchen nur mit unseren Pferden vor die Stadttore zu reiten.«
    Er winkte den Toren von Akka zu, die auf ihn warteten. Dann wandte er sein Pferd zurück in das Innere der Stadt. Dabei sah er zufällig bei den Färberküpen die jüdische Witwe Schimirit stehen. Sie hatte Angst, ihr eigenes Haus zu betreten, weil dort ihr Schwager auf sie lauerte. Der Hauptmann der Wüstenreiter erkannte die schöne Frau wieder, die vorhin bereit gewesen war, sich zum Islam zu bekehren. Lächelnd stieg er vom Pferd.

    Es war Donnerstag, der 24. April 1096. Kurz vor dem Morgengrauen eilte der Burgkaplan Wezel (so nannte ihn jedermann, aber eigentlich hieß er Werner) zum Schlafgemach seines Herrn in der Burg von Gretsch und hämmerte an die Tür. Der Graf drinnen brummte nur. Erst wiederholtes Klopfen weckte ihn völlig. Mürrisch riß er die eisenbeschlagene Tür auf. »Was gibt’s?« knurrte Graf Volkmar, ein kräftiger Mann mit mächtigen Schultern, einem starken Nacken und rotblondem Haar. Schon fast fünfzig Jahre alt, wirkte er doch wie ein Mann Anfang der Vierzig. Unter dem Nachtgewand sahen haarige Beine und große Füße hervor - sie paßten zu den starken Händen, die ungeschickt aus den mit Spitzen eingefaßten Hemdbündchen hingen. »Herr!« rief der grauhaarige Priester in freudiger Erregung. »Sie kommen!«
    »Wer?« fragte der Graf schläfrig. »Die, von denen ich Euch erzählt habe.«
    »Der Pöbel?«
    »So hab’ ich sie nicht genannt.«
    »Wenn es der Pöbel ist, warum weckst du mich?«
    »Ihr solltet sie sehen, Herr. Es ist ein Wunder.«
    »Du gehst zurück in dein Bett«, befahl der Graf müde, »und ich tu’s auch.« Während er noch sprach, hörte er ein Rauschen durch den stillen Morgen. Es klang wie die Wellen des Meeres, die gegen sein Boot geschlagen hatten, als er vom Krieg in Sizilien zurückgekehrt war. Immer stärker wurde das Rauschen. Ein Hahn begann zu krähen, Hunde bellten, und er vernahm das Geräusch vieler Füße. Dann hörte er auch Bewegung nahe den Mauern: das Vorwärtsdrängen vieler Körper im sanften Wirbeln des Staubes und das Knarren und Quietschen von Wagen, die nicht von Pferden gezogen wurden, sondern von Menschen. »Was ist das?« fragte er den Priester. »Es sind die von Köln«, erwiderte Wezel eifrig.
    »Ich sehe sie mir doch besser an«, willigte der Graf ein. Er warf sein Nachtgewand ab und zog seine wollenen Kleider über den kräftigen, haarigen Körper. Der Priester führte ihn durch die Kapelle auf den Wehrgang. Dort unten auf der Straße von Köln nach Mainz, in dem Dämmerlicht noch nicht deutlich zu erkennen, bewegte sich dunkel in langem, dicht gedrängten Zug eine Menge Menschen. »Was ist das an der Spitze?« fragte Graf Volkmar.
    »Kinder sind’s«, antwortete der Priester. »Sie laufen voran von Stadt zu Stadt, aber sie gehören nicht dazu.«
    Volkmar lehnte sich an die Brüstung und sah, nachdem sich der von den Kindern aufgewirbelte Staub gelegt

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