Die Quelle
daß Volkmar der Mann war, der in Gretsch zu bestimmen hatte. Daher gab er seinem Esel einen Tritt, ritt geradenwegs auf den Grafen zu und rief mit brüchiger Stimme: »Gott will es! Du sollst mit uns reiten, denn dein Heil hängt davon ab.«
Voller Mißtrauen fragte Volkmar seinen eigenen Priester: »Ist dies ein Abgesandter des falschen Papstes?«
»Ja«, nickte Wezel.
»Geh fort!« rief Volkmar und trat von dem Mann auf dem Esel zurück. »Gott will es!« schrie der kleine Priester und zwang sein müdes Tier vorwärts. Der hochgewachsene deutsche Ritter antwortete verächtlich: »Du dienst dem falschen Papst.«
»Aber dem wahren Gott, und Er gebietet dir, mit uns zu reiten.« Volkmar dachte gar nicht daran, mit diesem Pöbelvolk zu reiten. Und jetzt tat es ihm sogar leid, daß er sich erboten hatte, die Kinder zu speisen, die sich nun von allen Seiten herbeidrängten. Falls der kleine Mann auf dem Esel wirklich ein Diener des falschen Papstes war, konnte es für den Grafen von Gretsch peinlich werden, wenn man entdeckte, daß er ihm geholfen hatte. Er überlegte ernsthaft, ob er seinen Befehl zurücknehmen sollte, um sich ärgerliche Folgen zu ersparen. Aber in diesem Augenblick wurde ihm die Entscheidung aus der Hand genommen, denn aus dem Stadttor kam eine Menge seiner eigenen Leute gelaufen und begrüßte den kleinen Priester mit lautem Zuruf.
»Peter! Peter!« schrien sie. Immer mehr kamen, blickten ehrfürchtig den Priester an, berührten sein Gewand und streichelten seinen Esel. Manche versuchten gar, Haare aus dem Fell des Tieres zu zupfen, wurden aber vom Gefolge des Priesters zurückgedrängt.
»Gott will es!« schrie der Priester nochmals mit hoher, sich üb erschlagender Stimme. So unscheinbar das Äußere dieses etwa fünfundvierzig Jahre alten Mannes war - in seinen Augen flackerte ein ungeheurer innerer Drang. »Ich bin gesandt, euch an eure Pflicht zu mahnen.«
Staunend hörten die Leute von Gretsch zu, was dieser Peter nun predigte: Der Weltuntergang stehe nahe bevor, aber alle könnten gerettet werden, wenn sie ihm nachfolgten. Graf Volkmar allerdings wurde bei diesem wilden Wortschwall nur noch um so mehr überzeugt, daß man diesen Mann meiden mußte. Deshalb ging er mit den Seinen zurück durch die Schar der Bürger seiner eigenen Stadt. Erst innerhalb der Mauern fühlte er sich wieder wohl. »Laßt mir keinen von diesem Pöbel nach Gretsch hinein!« befahl er den Wachen.
Jetzt erschien der Burgvogt. »Herr, wenn Ihr allen Kindern Essen geben wollt, brauche ich mehr Geld.« Volkmar dachte einen Augenblick nach, dann zuckte er die Achseln.
»Wir haben versprochen, sie zu füttern«, sagte er ohne Begeisterung. Vom Stadttor, an dem die Kinder schrecklich lärmten, kehrte er einigermaßen verwirrt zurück in seine Burg, von der aus er die immer mehr anwachsende Menge weiter beobachtete. »Da unten, das sind viel mehr als Zwanzigtausend«, sagte er zu seiner Frau. Und dann rief er den Hauptmann seiner Burgmannen und befahl: »Schließe das Tor, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn sich jemand Eintritt erzwingen will, laß die Bogenschützen ihn niederschießen.« Man sollte sich nicht von ihm erzählen können, er habe mit dem falschen Papst unter einer Decke gesteckt.
Da reichlich Nahrung herangeschafft war, wurde die Menge nicht ärgerlich, als das Tor sich schloß. Durch die bewachten Ausfallpforten wurde weiter Essen hinausgereicht. Endlich waren alle Kinder gefüttert. Ihre offensichtlich halbverhungerten Eltern durften sich die Reste nehmen. Bürger und Köche aber - sie blickten sich vorsichtig um, damit der Graf sie nicht sah - brachten Berge von Nahrung zu dem kleinen Priester und seinen Begleitern. Dann machte sich die Menge langsam auf den Weg, rheinaufwärts, nach Mainz, Worms und Speyer. »Es ist erstaunlich, wie gut der kleine Priester Ordnung hält«, sagte Volkmar mißmutig zu seiner
Frau, als er die Menge im Staub verschwinden sah. Mathilda aber stieß einen lauten Schrei aus, als sie die Wagen mit den Familien am Ende des Zuges erblickte - diese Frauen und Kinder da mußten Not und Entbehrung leiden. Das magere Vieh, das nebenher trottete, gab sicherlich kaum noch Milch. Und der Staub, die Gefahren des langen Weges.
»Sie tun mir leid«, seufzte sie. »Warum begeben sie sich aber auch auf solch eine Reise.«
»Verdammt!« schrie ihr Mann mit ausgestrecktem Finger. »Wer ist das am Ende?« Seine Frau sah, daß sechs oder acht Familien aus Gretsch sich bei den
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