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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Pilgern einreihten.
    »Es sind Leute von uns«, bestätigte sie.
    Volkmar polterte die Burgtreppe hinab und rannte barhaupt zum Tor. Er befahl den Wachen, ihm zu folgen, um die Fortziehenden abzufangen. »Hans!« rief er dem einen zu, »wohin geht ihr?«
    »Nach Jerusalem«, antwortete der etwas dümmliche Knecht. »Weißt du, wo Jerusalem liegt?« fragte der Graf.
    »Da drüben«, erwiderte der Mann und deutete über den Rhein nach Westen. »Du gehst sofort zurück hinter die Mauern«, schrie Volkmar zornig. Er wies seine Wachen an, den neuen Pilgern den Weg zu verlegen. »Was hast du da auf der Schulter?« fragte der Graf einen der Männer. »Das Kreuz unseres Heilands.«
    »Nimm’s ab«, sagte Volkmar und zerrte an den ausgefransten Stoffresten, aber seine Hand wurde von der Wezels festgehalten, der dem Grafen nachgegangen war, um zu sehen, was geschah. »Herr, wenn diese Leute unserem Heiland nachfolgen wollen, muß man es ihnen erlauben.«
    Volkmar sah seinen Burgkaplan an, der einen Kopf kleiner war als er selbst. »Diese Männer und Frauen werden für die Arbeit auf meinen Feldern gebraucht. Wachen, bringt sie zurück hinter die Mauern.« Die Wachen gehorchten, aber Wezel sprach weiter.
    »Wollt Ihr Euch dem Willen Gottes widersetzen?« fragte er.
    Die Frage überraschte Volkmar, denn er gehorchte den Geboten Christi. Jetzt aber forderte der Kaplan seine Entscheidung in einer Sache, von der Volkmar nichts verstand. Er wurde grob. »Hinter die Mauern!« schrie er nochmals. Widerstrebend zogen die verhinderten Pilger zurück durch das Stadttor. Der Priester Wezel aber segnete sie für ihre fromme Absicht. Als der grauhaarige Kirchenmann sich umwandte, um nun den Grafen zurechtzuweisen, knurrte Volkmar: »Keiner von meinen Leuten gehorcht den Befehlen eines falschen Papstes.« Was er sagte, klang jedoch nicht sehr überzeugend, denn die Worte des Priesters hatten ihm zu denken gegeben: Handelten seine Ackerbürger und Bauern, die sich dem Zug anschließen wollten, wirklich nach dem Willen Christi? Verwirrt wollte er in seine Burg zurückgehen, als er den Vogt mit seinen Leuten die Töpfe in die Stadt zurückschleppen sah, aus denen die Kinder gespeist worden waren. »Wieviel hat es gekostet?« fragte der Graf.
    »Wir brauchen sechs Goldstücke, um die zu bezahlen, die uns Milch und Brot und all das andere geliefert haben«, antwortete der Vogt.
    »Ich hätte meine Zunge im Zaum halten sollen«, sagte Graf Volkmar ärgerlich. Dabei fiel sein Blick auf eine Menschengruppe am Tor. Die Leute waren offensichtlich sehr aufgeregt über etwas, das einer in der Hand hielt. Volkmar bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge. »Was ist hier los?« fragte er. »Klaus hat ein Haar vom Esel des Priesters«, erklärte ihm eine Frau und deutete stolz auf den Mann, der mit zusammengelegten Händen dastand, als halte er Gold.
    »Laß mich sehen«, befahl Volkmar. Der Mann trat vor und öffnete langsam seine Hände, in denen ein graues Eselshaar lag. Der Graf wollte bereits die lästerliche Reliquie hinwegwischen, aber er sah, wie sich Klaus darüber freute und wie die Menge ihn bewunderte. Unsicher ging er davon. Mochten die dummen Bauern mit ihrem Eselshaar machen, was sie wollten.
    Volkmar begab sich in den südöstlichen Teil seiner Stadt, um dort einen Mann aufzusuchen, der über gesunden Menschenverstand verfügte. Mit ihm konnte man vernünftig über die so sonderbaren Ereignisse dieses Vormittags sprechen. Da war endlich das schöne Fachwerkhaus, das sich an die schützende Stadtmauer lehnte. »Ist jemand da?« rief er vor der Tür. Kurz darauf öffnete eine junge Frau, offensichtlich gesegneten Leibes und mit diesem Zustand sehr zufrieden, die schwer verriegelte Tür und rief: »Graf Volkmar! Kommt herein. Der Vater ist hier.« Sie führte den Grafen durch eine Halle mit schweren Möbelstücken in ein dahinter gelegenes Zimmer, in dem ein Mann von bemerkenswerter Erscheinung saß, ein etwa fünfundvierzig Jahre alter Jude mit schwarzem Bart, einer goldbestickten Kappe und einem Gewand aus venetianischem Stoff mit Pelzkragen. Man sah es seinem schnellen, klugen Blick an, daß er ungewöhnliche Fähigkeiten besaß: hellwach in Verhandlungen, einsichtig in Gesprächen, tapfer in leiblichen Gefahren. Er nickte Volkmar zu, als die junge Frau ankündigte: »Vater, es ist der Herr Graf.«
    Volkmar war in diesem mit Büchern angefüllten Raum kein Fremder. Er war oft hierhergekommen, um Geld zu leihen, öfter noch, um

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