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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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schlachte die Kinder der Christen ihres Blutes wegen. Meine Weiber sind Huren, und die ewige Hölle ist mir gewiß, denn ich bin der Feind der Kirche und aller guten Christen.« Rabbi Elieser gab öffentlich zu, daß all dieses genau auf ihn zutreffe. Danach mußte er beim Blut des Schweins, auf dessen Haut er stand, bezeugen, daß er nicht als Rabbi und Oberhaupt der
    Gemeinde vor Gericht stehe, sondern als gemeiner Mann und auf Grund seines eigenen Ansuchens. (Seine Anerkennung als Oberhaupt der Gemeinde hätte als Anerkennung der legitimen Anwesenheit der Juden ausgelegt werden können.) Er wurde gezwungen niederzuknien und beide Hände in das Blut des Schweins zu tauchen. Rabbi Elieser gehorchte. Das Gericht bestätigte nicht nur, daß die Bitte, den Bau einer neuen Synagoge zu genehmigen, abgelehnt sei, sondern befahl obendrein, die in der Jüdengasse bereits bestehende Synagoge niederzureißen, denn sie sei eine Stätte der Greuel und eine Verhöhnung Christi. Und zur Strafe für die eigene Unverschämtheit müsse Rabbi Elieser vor der versammelten Bürgerschaft am nächsten Sabbat den Hintern der Sau von Gretsch küssen.
    Zutiefst beleidigt und zerrissenen Herzens kehrte der Rabbi in die Jüdengasse zurück und berichtete seinen Juden, daß man ihnen ihre Synagoge nehmen werde. In der engen Gasse stand er und sprach: »Ein Strafgericht trifft uns, weil wir überheblich gewesen sind. Wann, o Israel, werden wir endlich lernen, daß wir dem Heiligen, gelobt sei Er!, nicht in Gebäuden dienen, sondern in unserem Herzen? Wir sind die Sündigen, nicht jene, die das Haus zerstören. Und unser sind die Wehklagen, denn durch unsere Eitelkeit haben wir sie veranlaßt. Wenn das Haus zerstört wird, werden wir alle zusehen. Und wir werden Trauer tragen, denn auf uns liegt Sünde.«
    Rabbi Elieser begab sich zum rituellen Bad, um sich von der Schmach zu reinigen, die er vor dem Gerichtshof der Christen erduldet hatte. Aber im Tauchbad hörte er Rufe der Kinder: »Da kommen sie. mit Äxten!« Eilends zog er sich wieder an und erreichte die Straße gerade noch zeitig genug, um zu sehen, wie eine ganze Schar Taglöhner sich anschickte, die Synagoge zu zerstören. Mit Brecheisen schlugen sie die Tür ein, und mit Glut, die sie aus der Küche eines Judenhauses geholt hatten, entfachten sie auf der Gasse ein Feuer, warfen die Tür hinein, Eliesers alten Tisch und den wackeligen Stuhl. Das erhöhte Pult, von dem aus die Thora verlesen wurde, schleuderten sie hinterdrein. Und mit Entsetzen sah Elieser, wie sie das bestickte Tuch von dem Schrein herunterrissen und achtlos in die Flammen steckten. Ihm war, als hätten sie eine Frau ins Feuer gestoßen, denn das Tuch war zart und schön. Ein Jude wollte es retten. Roh schob man ihn beiseite. Doch dann verwandelte sich Eliesers Trauer in fassungsloses Entsetzen. Die Männer rissen den Schrein ab, die Pergamentrolle der Thora fiel in den Staub. Mit den Füßen stießen sie die Heilige Schrift zum Feuer hin. Geschickt rollte einer der Christen sie mit den nackten Zehen auf. Gierig leckten die Flammen nach dem Schafsleder und fraßen es.
    Aus der Menge der Juden erhob sich lautes Wehklagen: »HErr unseres Lehrers Mose, nimm Deine Thora zurück!« Und sie zerrissen ihre Kleider, als habe der Tod diesen Ort heimgesucht. Rabbi Elieser zerriß sein langes Gewand und betete laut: »»Unsere Väter haben ihr Vertrauen in Dich gesetzt. Sie haben Dir vertraut, und Du hast sie errettet. Sie haben zu Dir geschrien, und sie sind errettet worden. Sie haben Dir vertraut, und sie wurden nicht zuschanden.<« Im Beten aber brach ihm die Stimme, nicht aus Angst und nicht wegen der Flammen, sondern weil die Männer die kostbaren Talmudrollen aus der Synagoge herb ei schleppten und ins prasselnde Feuer warfen.
    Ein Junge - Elieser hatte ihn im Talmud unterrichtet - lief seiner Mutter davon und versuchte, die Rollen, in deren Geheimnisse einzudringen so sehr sein Bestreben gewesen war, aus den Flammen zu ziehen. Vergeblich mühte er sich, die Pergamente zu fassen. Die Christen sahen, daß er nichts ausrichten konnte, und hinderten ihn nicht. Zuletzt aber trieben ihn die Flammen zurück. Bleich stand er neben dem Rabbi, ohne zu merken, daß seine Hände übel verbrannt waren.
    »>Verlaß mich nicht, o HErr<«, betete Elieser. »>Du meine Stärke, eile mich zu retten.<« Und die Männer mit den Äxten setzten ihr Zerstörungswerk fort. Das Feuer war niedergebrannt, die versengten Hände des Lerneifrigen hatte

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