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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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können. Aber weiter rechts erwies es sich, daß die Absicht weit bösartiger war. Dort hob ein Teufel den Schwanz der Sau, um einem Rabbi die Herkunft des Talmud zu zeigen: Aus dem After des Tieres ragte die Ecke eines jüdischen Buchs hervor, und aus der Blase schoß ein Strom von Harn und traf den Rabbi ins Gesicht. Seit Jahrhunderten malten die Christenkinder von Gretsch den Strahl gelb an und ebenso das Gesicht des Rabbi.
    »Zur Strafe für seine freche Überheblichkeit wird der Rabbi nun den Arsch der Sau küssen«, verkündete ein Ratsdiener. Elieser wurde zum Hinterteil des Bildwerks geführt und zum Niederknien gezwungen. Sein Widerwille aber war so stark, daß er zurückfuhr. Dabei fiel ihm der Hut vom Kopf. Aus der Menge ertönte Geschrei. »Der Judenhut! Der Judenhut!« brüllte es, und dem Rabbi wurde befohlen, den Hut wieder aufzusetzen. Als er wieder zur Sau trat, fiel der Hut abermals herab. Ein Ratsdiener zog eine Schnur aus der Tasche und band den Hut an Eliesers Ohren fest. Die Menge kreischte vor Vergnügen.
    Als der Rabbi sich nun anschickte, den Steiß der Sau zu küssen, und sich niederbeugte, sah er, daß Spaßvögel das Steinbild mit wirklichem Kot beschmiert hatten. Die unter den Zuschauern, die Bescheid wußten, kicherten in heimlicher Schadenfreude. Rabbi Elieser bar Zadock küßte die Sau. Doch als er sich dann unwillkürlich die Lippen abrieb, erhob die Menge wütend Einspruch. Die Ratsherren befahlen, daß er den Akt des Gehorsams zu wiederholen habe, ohne die Lippen abzuwischen. Der Rabbi kam dem Befehl nach.
    Am Abend versammelte Elieser einige der jüdischen Gemeindeältesten in dem Zimmer, das nun als Synagoge dienen mußte. Hier las er ihnen einen Brief vor, der seit mehreren Jahren heimlich bei den Juden Deutschlands umlief. Geschrieben hatte ihn ein Gretscher Jude, der aus der Jüdengasse geflohen und bis in die Türkei gelangt war.
    »>Im Reich des Großtürken kann auch der ärmste Jude wie ein Mensch leben. Konstantinopel mangelt es an nichts, es ist eine der schönsten Städte der Welt. Ich kleide mich, wie es mir gefällt, und trage kein Zeichen. Meine Kinder tun wie ich; sie werden auf der Straße nicht verprügelt. Wir haben eine schöne Synagoge gebaut. Einer der Unseren ist Ratgeber des Sultans. Die Türken heißen jeden arbeitswilligen Mann willkommen.<«
    »Ich denke, wir sollten gehen«, sagte Rabbi Elieser.
    »Du bist noch aufgebracht über die schmutzige Sache mit der Sau«, entgegnete Isaak Gottesmann. »Sie haben dich nicht entwürdigt, Elieser.«
    »Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, daß ich die Sau geküßt habe. Aber an den Haß in den Gesichtern der Deutschen kann ich mich erinnern. Seinetwegen sollten wir gehen.«
    »Was kümmerst du dich um die Deutschen?«
    »Wenn wir in katholischen Herzen solchen Haß entfachen, dann sollten wir gehen.«
    »Das Volk heute?« erwiderte Isaak. »Wenn sie nicht uns haßten, würden sie jemand andern hassen.«
    »Ich will nicht länger den Christen Anlaß zur Sünde geben«, sagte Elieser. Und seine Frau merkte, daß er in drei Sätzen seine Begründung von den Deutschen über die Katholiken auf die Christen ausgeweitet hatte. Im weiteren Verlauf sagte der Rabbi bestimmt: »Ich will nicht bei meinem Bruder leben, wenn er meinetwegen den HErrn gröblich beleidigt.« Der große, gütige Mann, dachte Lea. Er hebt jedes Ding in die Höhe, die ihm wahrhaft gebührt.
    Die Auseinandersetzung nahm eine Wendung, als Isaak bemerkte: »Der Herrschaft der Kirche über uns sind Grenzen gesetzt, Elieser. Binnen kurzem wird Gretsch vielleicht eine lutherische Stadt sein.« Isaak Gottesmann hoffte noch immer, die Juden könnten in Deutschland zu Recht und Menschenwürde gelangen. Von seinen Worten angeregt, erörterten die Juden abermals, was sie schon zwanzig Jahre zuvor unter dem Eindruck von Luthers versöhnlicher Schrift erörtert hatten: War es möglich, daß eine neue Christenheit die alte ablöste? »Wir müssen um den Sieg Luthers beten«, meinte ein Jude. »In allen Teilen Deutschlands zwingt er der Kirche Niederlagen auf. Sein Sieg bringt uns die Freiheit.«
    Noch immer also die Hoffnung. Denn ein frischer Wind wehte, und man spürte sein Wehen bis in die engen Häuser der Gretscher Jüdengasse. Kein Jude freilich wagte öffentlich auszusprechen, daß er um den Sturz der Bedrücker bete, denn die Kirche bestrafte ihre Feinde unbarmherzig. Aber jeder Jude hoffte. Gegen Rabbi Eliesers Rat entschied man, noch ein wenig zu

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