Die Quelle
drang der Lärm der Kinder zu ihnen herein.
Gegen Ende des Jahres 1533, als Folge der zärtlichen Stunde, mußte Lea ihrerseits die Wehfrau kommen lassen. Das Kind war ein Mädchen und wurde Elischewa genannt. Nun sie zwei eigene Kinder hatte, wurde die Rebbezin kaum je mehr ohne einen Schwarm von Kindern gesehen, der sich an ihre Fersen heftete, und fast täglich mußte sie ihnen eine neue Geschichte aus den alten Zeiten erzählen. Von Samson und den weiten Ländereien, die er besessen hatte: In jede Himmelsrichtung konnte man tagelang reiten, ohne an eine Grenze zu gelangen. Von Mirjam, der großen Tänzerin: Für sie spielten siebzig Musikanten auf, und nicht weniger als sechzehn verschiedene Kleider hatte sie zum Tanz. Und vom Hirtenknaben Schemuel, der über Wege und Felder, durch Wälder und an Seen vorüber wanderte durch ein unvergeßliches Land. Immer wenn Lea ihre Geschichten erzählte, vermochten die Kinder sich ihr Gelobtes Land vorzustellen. Es waren die glücklichsten Jahre der Gretscher Jüdengasse, und von allen Bewohnern hatte niemand mehr Anlaß zur Freude als Rabbi Elieser und seine Frau. Die Gemeinde folgte seinen Anweisungen; es kam kaum jemals zum Streit. Sein Heim konnte als das der vorbildlichen jüdischen Familie gelten, auch dann noch, als vier Angehörige einer anderen Familie ins hintere Zimmer gezogen waren. Zum Studieren allerdings hatte Elieser bar Zadok keinen Platz mehr, aber er konnte sich jederzeit zu seinem Talmud in die Synagoge zurückziehen, an den wackeligen Tisch mit dem Leuchter.
Im Jahre 1542 aber unterbreitete Isaak der Geldverleiher dem Rabbi einen Plan: »Ich habe gut verdient und möchte dir Geld geben für eine neue Synagoge. eine Synagoge, auf die wir stolz sein können.«
Rabbi Elieser wies den Vorschlag ab: »Das Gesetz der Stadt bestimmt, daß wir uns mit der bestehenden Synagoge begnügen müssen.«
»Die neue könnte Bänke haben und für dich einen Platz zum Studieren«, sagte Isaak. »Sie würde dem HErrn zur Ehre gereichen.«
Elieser verwahrte sich gegen das Vorhaben und sagte dem Spendenfreudigen, er solle sein Geld den Armen geben. Doch Isaak meinte, wegen der gegenwärtigen Glaubenswirren unter den Christen könnten die Bürger der Stadt vielleicht milder gestimmt sein. Entgegen seiner besseren Einsicht begab sich Elieser deshalb vor den Rat der Stadt und brachte sein Gesuch vor: »Die Juden von Gretsch bitten um die Erlaubnis, eine neue Synagoge bauen zu dürfen.«
Die Antwort ließ nicht auf sich warten: »Eine neue Synagoge wäre ein Schimpf für die Stadt und eine Schmähung gegen den Hohen Dom. Da aber die Juden offenbar das zu solcher Lästerung nötige Geld bereits haben, verurteilen wir die Jüdengasse zu einer Geldstrafe, die den Kosten einer neuen Synagoge entspricht.« Rabbi Elieser legte Verwahrung ein gegen ein so ungerechtes Urteil. Aber damit zog er nur den Zorn der Stadtältesten auf sich: »Und wegen seiner
Widerspenstigkeit gegen das Gesetz soll der Rabbi der Jüdengasse verhört werden. Denn die Heilige Schrift: sagt, daß die Christen in der Synagoge gelästert worden sind, die also eine Stätte des Greuels und der Bosheit sein muß.«
Elieser wurde vor das Gericht geladen. Geistliche Herren erhoben jedoch Einspruch und gaben zu bedenken, daß kein Jude rechtens zu schwören vermöge, schon gar nicht auf die Heilige Schrift, welche die Juden ja verleugneten. Deshalb einigte man sich auf einen altdeutschen Brauch: Die blutige Haut eines eben geschlachteten Schweins wurde vor den Gerichtshof gebracht. Der Rabbi mußte Schuhe und Strümpfe ausziehen, barfuß auf die blutige Haut treten und die Worte sprechen: »Wenn ich lüge, so soll die blutige Haut dieses Schweines mich einhüllen, soll meine Mutter an seinem Fleisch ersticken, soll sich der Schweinskopf in das Haupt meiner Tochter verwandeln, und auf die Dauer von drei Geschlechtern soll das Schweineblut die Stirnen meiner Nachkommen beflecken.«
Rabbi Elieser, ein Mann, der sieben Sprachen beherrschte, trat gleich einem ehrlosen Verbrecher auf die Haut des Schweins und schwor. Die Richter verlangten sodann, daß er ihnen das übliche Geständnis nachspreche: »Ich bin ein dreckiger Jude, einer aus dem Volke, das den wahren Erlöser ans Kreuz geschlagen hat. Ich bin ein ruheloser Wanderer ohne Heimat außer der, welche die Kirche in ihrer Güte mir gewährt. Ich bin böse und verderbt, allen Menschen ein Ärgernis. Ich vergifte Brunnen, verbreite die Pest und
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