Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
ausgesorgt … für zehn Leben.«
»Ich freue mich über die Geste«, erwiderte Busch, »aber wenn ich mir das Ding anschaue, muss ich unwillkürlich an das alte Sprichwort denken: Vorfreude ist die schönste Freude. Nach allem, was wir hinter uns haben, stehe ich da nicht mehr darauf, den einfachsten Weg zu gehen. Hat was mit Karma zu tun. Vielleicht werde ich es einfach Jeannie schenken und ihr verklickern, es wäre eine Imitation. Vielleicht spricht sie dann wieder mit mir.«
Es war nach neun Uhr abends. Alle waren gegangen, und alle hatten am Ende gelächelt, sogar Paul und Jeannie, die beim Nachtisch endlich angefangen hatten, wieder miteinander zu reden. Jetzt aber war es still im Haus. Hawk und Raven schliefen vor dem Kamin.
Michael saß in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Vor ihm lag ausgebreitet die Karte von der Welt unter den Mauern des Kremls. Er fragte sich, wie viel sie wohl wert sein mochte und blickte in das kleine Feuer, das er an diesem kühlen Sommerabend entzündet hatte. Diese Karte führte in eine lange verschollen geglaubte Welt der Reichtümer und der Geschichte, und jetzt, da kein Menschenleben mehr auf dem Spiel stand, überlegte Michael, dass er vielleicht, eines Tages …
Morgengrauen. Michael stand auf dem Banksville-Friedhof, umgeben von den Gräbern derer, die ihn verlassen hatten. Mary, seine Adoptiveltern, die St. Pierres. Er stand allein da, gab sich der Trauer hin und dem Verlust, der sein Inneres ausgehöhlt hatte.
Er war an diesem Morgen ganz plötzlich aufgewacht, um vier Uhr in der Frühe. In seinem Schlafzimmer war es noch dunkel gewesen. Ganz ruhig sah er sie in Marys Lieblingsstuhl sitzen. Sie erschreckte ihn nicht im Geringsten. Es war vielmehr so, als hätte er sie erwartet.
»Sie möchte, dass ich dir danke«, sagte Genevieve mit sanfter Stimme.
Michael lächelte, war aber nicht in der Lage, etwas zu erwidern.
»Sie sagt, dass sie nun endlich zur Ruhe kommen und aufhören kann, sich um dich zu sorgen.« Genevieves Stimme war wie eine sanfte Brise. »Mary hat gesagt, dass sich die Wäsche zu sehr anhäuft, und dass der Kühlschrank hin und wieder abgetaut werden muss, aber darum kannst du dir Sorgen machen, wenn du aufwachst.«
Michael drehte sich auf die Seite, und die Morgensonne strahlte durch die Fenster herein. Der Stuhl war leer, übersät von schmutziger Wäsche. Hawk und Raven schliefen noch am Fuß des Bettes. Michael stand rasch auf und zog sich an. Als er durchs Wohnzimmer ging, die Hunde an seiner Seite, blickte er kurz auf das Gemälde, das seit kurzem über dem Sims hing, auf den Engel mit den weit ausgebreiteten Armen, der in der frühen Morgensonne erstrahlte.
Als sein Pick-up auf dem Schotter der Friedhofsauffahrt ausrollte, schaute er auf seine Hände, die das Lenkrad umklammerten. Es war wie ein innerer Zwang: Er musste auf seinen Ringfinger blicken, auf den dünnen hellen Hautstreifen und die halbrunde Einbuchtung, die so unnatürlich aussahen.
Und jetzt, als er im Licht der Morgendämmerung am Grab stand, fühlte er das Gewicht des Eherings, der an der dünnen Goldkette an seinem Hals hing und ihm gegen die Brust schlug. Sein Verstand war noch wie in einem Nebel; der Schleier des Schlafs bedeckte noch alles. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, hierherzukommen; er hatte sich einfach dazu gezwungen gefühlt. Er vermisste sie, er vermisste ihre Gesellschaft und musste ihre Gegenwart spüren. Die Einsamkeit hatte sich wieder einmal über ihn hergemacht, und es war, als wolle sie ihn ersticken. Michael wusste, dass er allein war.
Im nächsten Moment schaute er über den Friedhof hinweg und sah sie dastehen, mit strahlender Miene und liebevollem Lächeln. Er dachte an ihren Brief, an ihre Worte, die so tief aus ihrem Herzen gekommen waren …
Erst die Familie macht uns zu vollständigen Menschen. Sie kann die Leere in unserem Inneren füllen und die Hoffnung wiederherstellen, wenn wir glauben, sie für immer verloren zu haben.
Ich liebe dich, Michael. Ich werde dich immer lieben und immer bei dir sein, für alle Ewigkeit, in deinem Herzen.
Ganz leicht nickte Mary ihm zu, und als Michael lächelte, hob sich der Schleier der Schläfrigkeit, und ihr Traumbild löste sich auf im Dunst des Morgens.
Michael hörte den Wagen kommen. Die Reifen knirschten auf dem Schotter, und die Tür wurde leise geschlossen. Er hörte, wie Schritte sich näherten. Dann dauerte es nur noch einen kurzen Moment, bis eine Hand sich auf seine Schulter legte –
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