Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
als dass man entspannt und bequem darauf verweilen konnte. Also klettern. Er war verdammt noch mal kein Affe. Doch er hatte sich darauf eingelassen und sah die Notwendigkeit ein. Es war, wie es war. Alles für die Möglichkeit einer Veränderung. Das hatten sie alle so gewollt.
Als das Gebirge gewachsen war, hatten die Säulen rot geglüht, hatten sich einzeln, doch schnell in die Höhe geschoben, immer weiter, immer höher. Dann waren sie über Nacht erkaltet, waren abends noch ein zusätzliches Abendrot am nördlichen Himmel und morgens schon eine grau-schwarze Barriere. So beschrieben es die Lieder.
Die Wolken, die über dem Gebirge hingen, waren irgendwann nicht mehr aschegrau, sondern schneeweiß. Und sie waren immer da, kein Stück blauer Himmel war über den Bergen zu sehen, nicht seit es sie gab. Eine Wand aus Fels und Nebel.
Undurchlässig. Zu Anfang hatten die Bewohner von Talunys, die Tyrrfholyn wie auch die Menschen – und wer weiß, wer sonst noch –, versucht, einen Durchgang oder einen Übergang zu finden. Es gab keinen. Es gab nur die steinerne Grenze. Expeditionen waren am Fuß des Gebirges entlanggezogen, mal gen Osten, mal gen Westen. Doch die Berge nahmen kein Ende. Sie zogen sich einfach weiter in ihrer erstarrten Plötzlichkeit, ohne Hügelland davor, ohne sanfte, grüne Anstiege. Sie waren da, und sie blieben. Wo das Land aufhörte, ragten die Felsen noch ins Meer und teilten die Fluten. Wie weit, konnte man nicht sehen.
Doch nichts war für ewig, und das war gut so. Das Leben selbst offerierte dem Wagemutigen immer Möglichkeiten zur Veränderung. Manche musste man selbst anstoßen, manche konnte man dankbar annehmen. Bisweilen schloss man Kompromisse oder ging Bündnisse ein, die seltsam und geheimnisvoll waren.
Er fand den schmalen Eingang in die Dunkelheit, als er schon ein ganzes Stück nach oben geklettert war. Er blickte nicht nach unten. Der Abgrund würde ihm nur verdeutlichen, dass er nicht zur Bergziege geboren war. Er war noch nicht einmal sehr hoch gekommen, doch von oben sah alles höher aus als von unten.
Jeder, der hier abstürzte, war des Todes.
Er drückte sich seitlich ins Dunkel der plötzlich aufgetauchten Öffnung. Dort verharrte er.
» Ich bin da! « , sagte er. » Wie es vereinbart war. «
Der Pelzschrat war zunächst kaum zu erkennen. Er löste sich aus der Finsternis, als wäre er ein Teil davon. Dann verharrte er vor dem Gast und verwehrte ihm jeden weiteren Zutritt.
» Bring mich zu IHR ! « , sagte der Gesandte.
» Nein « , gab der Schrat zurück, und seine rundliche Erscheinung waberte wie ein Gelatineball. Die Haare seines Pelzes riffelten wellenförmig über seinen Körper.
» Es war so abgemacht! « , sagte der Gast mit der scharfen Autorität dessen, der sich im Recht fühlt.
» Nein. «
» Ich sollte SIE diesmal selbst sehen. Es gibt Dinge zu bereden. Manches hat sich positiv entwickelt, anderes ist verworren und ungelöst. Vieles war so nicht gedacht. Und die Nachrichten, die wir erhalten, sind unklar. Man muss reden. «
» Nein « , wiederholte der Schrat.
Der Besucher blickte das kleine Wesen ungehalten an.
» Widersetzt du dich mir oder IHR ? « , fragte er. » Du sollst gehorchen. «
» Stets « , sagte der Schrat.
Dann wandte er sich zum Gehen. Erst hier bemerkte der Kletterer, dass er durch das Loch, das als einziger Weg aus dieser Höhle weiter in den Berg führte, wohl nicht hindurchpassen würde.
» Was soll das? « , fragte er barsch.
» Die Wege wachsen breiter « , sagte der Schrat mühsam, als zitiere er ein Gedicht, das er nie richtig gelernt hatte. » Die Welt wird weiter. Zeit und Horn gehen nach vorn. Dies sage ich dir. Von IHR . Sammle die deinen, der Kampf wird uns einen. Die Schlacht ist schon nah. Sei da. «
» Wann und wo? « , fragte der Besucher verärgert. Mehr sagte er nicht. SIE würde wissen, worauf sich seine Frage bezog, und der Schrat selbst wusste ohnehin nichts. Ein dummes Wesen, nur bedingt nützlich. » Ich kann nicht dauernd zu den Bergen verschwinden. Es könnte auffallen. Das wäre schlecht. «
Noch einmal drehte sich der Schrat wie ein trudelnder Ball um sich selbst und wandte dem Besucher das zu, was vermutlich seine Vorderseite war.
» Höre, SIE sendet dir ein Lied. «
Er streckte eine Faust aus, öffnete sie andächtig. Etwas, das wie ein kranker Vogel aussah, lag darauf, flatterte auf und verging dann zu nichts. Nur den Gesang konnte man hören.
» Haben und sein,
graben im Stein,
ist
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