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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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breitete sich aus.
    » Ruhig, Una! « , befahl Kanura. » Du machst alles noch schlimmer. «
    Seine Stimme hallte von den Wänden wider, schwebte schwingend nach oben. Als Una den Kopf hob, sah sie steile und hohe Wände – sie waren in einer Art eckigem Turm ohne Stockwerke gelandet. Nur ganz weit oben schloss der Turm mit einer Decke ab wie ein Bauklotz.
    » Die sind tot « , stieß Una atemlos hervor. » Hier sind alle tot! «
    Tot, tot, tot, hallte ihre helle Stimme dem Bariton des Einhorns hinterher.
    Durch parallel angebrachte Spalten hoch in der Wand über ihren Köpfen fielen enge Strahlenbündel in dem Raum, tauchten manches in helles Licht und ließen anderes im Schatten – ein geometrisches Muster aus Hell und Dunkel. Dennoch konnte man erkennen, was sie umgab. Es waren zahllose Gerippe, mit zerfallenden Fetzen bekleidet, kaum noch als Wesen zu erkennen. Doch es waren Menschen. Oder Einhörner in Menschengestalt?
    » Menschen « , sagte Kanura leise, als habe er ihre Frage vernommen. » Sie müssen schon sehr lange tot sein. «
    » Scheiße « , flüsterte Una und rieb immer noch an ihrer Kleidung herum. Sie wollte nicht irgendwelche Teile von Toten an sich haben. Ein feiner Staub lag überall in der Luft. Una wurde klar, dass sie diesen auch einatmen würde. Waren darin die Reste der Verstorbenen enthalten? Konnte man von Toten eine Staublunge bekommen?
    » Woran sind sie gestorben? « , fragte sie schließlich, darum bemüht, leise zu sprechen und möglichst flach zu atmen. Wenn es eine Krankheit war, an der die Menschen hier gestorben waren, so versuchte sie sich zu beruhigen, war der Staub sicher nicht mehr ansteckend.
    Kanura hatte sich in die Mitte des Raumes begeben. Dort stand er, drehte sich langsam um sich selbst, als trachte er danach, das Unbegreifliche zu begreifen.
    » Ich kann nur raten « , antwortete er schließlich, und sein Murmeln hob sich durch den Raum von Wand zu Wand. » Sie sind zu zerfallen, als dass man Wunden ausmachen könnte. Es sieht nicht so aus, als hätte man sie erschlagen. «
    » Man stirbt doch nicht ohne Grund! Nicht so viele auf einmal! « , begehrte Una auf, und hielt sich dann selbst erschrocken den Mund zu, während ihre paniklaute Stimme mit ihrem eigenen Echo konkurrierte.
    » Menschen sterben an den unterschiedlichsten Dingen: Krankheit, Alter … «
    » Mord « , ergänzte Una. » Hunger, Durst, Ausbeutung, Gewalt … «
    Kanuras Augenbrauen zuckten.
    » Du kennst dich aus « , sagte er. » Deine Welt ist nicht perfekt. «
    Una zeigte auf die herumliegenden Gerippe. » Deine auch nicht, mein Prinz. Oder glaubst du, dies wäre nur eine Begräbnisstätte, eine Gruft, wo man die Toten hingebracht hat, um sie so unordentlich rumliegen zu lassen? «
    Er schüttelte den Kopf. Sein Blick fiel auf verstaubte Töpfe und Krüge an einer der Wände.
    » Nein. Sie haben hier gelebt und sind hier gestorben. «
    Schweigend blickten sie sich um.
    » Es gibt keine Tür « , sagte Una schließlich. » Nur den Gang, durch den wir gekommen sind. Und oben die Schlitze, die zu hoch sind, um dranzukommen. «
    Kanura nickte. » Hier kommen wir nicht raus « , sagte er. » Wir müssen zurück in den Tunnel. «
    » Ich will wissen, was hier passiert ist! « , drängte Una.
    Kanura antwortete nicht.
    » Sag mir nicht, dass du es nicht weißt « , fuhr sie fort. » Ich sehe doch, dass du dir Gedanken dazu machst. Sag mir, was du denkst! «
    Er griff sich mit einer Hand an die Schläfe, drehte sich weiter um sich selbst, als stünde er auf einer langsamen Drehscheibe, mit der er die Welt überblicken konnte.
    » Siehst du, was sie bei sich hatten? « , fragte er vorsichtig. » Das da war einmal eine Harfe. Und die Röhre dort drüben sieht aus, als wäre sie einmal eine Flöte gewesen. Das hier waren menschliche Barden. Sie haben hier gesungen und gespielt. «
    » Und woran sind sie gestorben? «
    Kanura trat vorsichtig wieder auf Una zu, darauf bedacht, in keinen der Knochenhaufen zu treten.
    » Ich denke, sie haben Musik gemacht, bis sie tot waren « , sagte er.
    Una starrte ihn entsetzt an, brachte kein Wort heraus. Ihr eigenes Lied, das sie gesungen hatte, bis sie ohnmächtig zusammengebrochen war, tönte wieder in ihrem Sinn. Sie wusste, was Kanura meinte.
    » Das ist … «
    » Das war das Recht, das die Mardoryx für sich beanspruchten. «
    » Das ist Mord. Schlimmer. Es ist so etwas wie Kannibalismus. «
    » Una, die Mardoryx haben sich nicht gegenseitig gefressen. Sie haben

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