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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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bekämpfen. Aber warum geht ihr nicht einfach dahin, wo ihr hergekommen seid – wo immer das war? «
    Ihm wurde klar, dass er nicht wusste, wo das war. Wo waren sie so lange gewesen, die Feinde der Tyrrfholyn? Warum tauchten sie gerade jetzt wieder auf? Was konnte das bedeuten? Wie viele waren es? War es eine Herde? Eine Sippe? Waren es Einzelgänger, oder verfolgten sie ein gemeinsames Ziel?
    Und was, wenn sie merkten, dass er einen von ihnen getötet hatte? Kanura bekämpfte die Genugtuung, die sich angesichts seines Sieges in ihm breitmachen wollte. Er war ein Tyrrfholyn. Es ziemte sich nicht, über den Tod einer anderen Kreatur zu jubeln.
    Kanura ließ seinen Blick über den kleinen See schweifen. Es war beinahe windstill, und doch schien die Wasseroberfläche seltsam belebt. Die Gefahr mochte noch nicht vorbei sein.
    Er blieb nicht, um herauszufinden, was das bedeutete, sondern setzte seine Hufe gegen den Boden und begann zu galoppieren. Nur fort von hier.
    Sein Bein schmerzte, aber es war nicht gebrochen, lediglich geprellt. Er versuchte, sich selbst Heilung zu generieren, obgleich er wusste, dass seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet eher begrenzt waren. Zudem waren sie nützlicher für die Heilung von anderen. Einhörner waren in ihrem Wesen uneigennützig. Das machte sich in vielem bemerkbar.
    Er musste nach Kerr-Dywwen, Bericht erstatten. Er musste die Heiler und Gelehrten hierherbringen, damit sie den gefallenen Feind untersuchen konnten. Er musste der Sippe melden, dass die Gefahr real war und dass er gesiegt hatte. Und auch, wie knapp dieser Sieg gewesen war.
    Er hatte die Hügelkuppe schon fast erreicht, als er eine ihm vertraute Stimme hörte. Sie rief seinen Namen.

Kapitel 6
    SIE stellte sich an IHRE Harfe. Das Instrument war riesig, die Saiten spannten sich vom steinernen Boden zur felsigen Decke. Die tiefsten Töne wohnten im Mittelpunkt der Höhle. Wenn sie schwangen, dröhnte das Gebirge, denn es war der Klangkörper des Instrumentes.
    Die Saiten waren aus Haaren gemacht, die so fest geknüpft und spinnwebfein umsponnen waren, dass sie pro Saite eine Einheit bildeten. Die Haare mochten einst einem Tyrrfholyn gehört haben oder vielleicht einem Menschen. Möglicherweise sogar einem haarigen Erdworg.
    SIE allein wusste, von wem die allermeisten stammten, und jene, die besonders schön vibrierten. SIE allein wusste, mit welchem Teil IHRES Selbst SIE sie umsponnen hatte. IHRE Beschaffenheit bedingte die Art des Klanges, nur um den ging es, denn die Erinnerung an die Wesen, denen die Haare einst gehört hatten, ließ die Klänge mal süß und mal bitter erschallen in der Sehnsucht nach einem Leben, das verloren war, genommen, verarbeitet, versponnen und verwoben zu nichts als Schall.
    Die talentierten Hände der Bergbewohnerin glitten über die tiefen Saiten, und der Berg vibrierte dunkel. Zum Ende der Höhle hin, wo Boden und Decke sich trafen, waren die Saiten kurz und die Töne, die sie erzeugten, hoch.
    SIE wirbelte an den Saiten nach oben, und der Klang hellte sich auf, wurde beinahe kristallen. Dann begann SIE zu singen, und IHRE Stimme war so schön wie die Nacht dunkel.
    » Singt das Wasser,
    singt der Wind,
    weiß man, dass der Krieg beginnt.
    Stirbt die Nymphe,
    stirbt das Horn,
    ist ihr Kampf schon fast verlor’n.
    Sing mir ein Felsenlied,
    sing es wohl mit mir mit.
    Wehr dich nur, Recke,
    ich bring dich zur Strecke.
    Komm, komm nur, du,
    und mein Berg singt dich zur Ruh. «
    SIE wandte sich ab. IHR weißes Haar war aus Wut und Willen gesponnen. Das Licht störte IHR Dasein nicht. Es war IHR Werk. Keines IHRER Augen verzehrte sich nach dem Tag.
    SIE summte leise. Alles würde sich fügen. So wie SIE es wollte. Der Plan war perfekt.

Kapitel 7
    Kanura lauschte der Stimme, die vom See her mit dem Wind herangetragen wurde. Es war eine Frauenstimme – Besorgnis schwang darin, auch ein wenig Angst.
    Kanura hielt an und wandte sich um. Arglos und schön lag das Tal mit dem See unter ihm. Er tänzelte nervös auf der Stelle. Sollte er zurücklaufen, oder war dies ein weiterer Versuch, ihn zu täuschen?
    Da! Sie erklang erneut, die Stimme, die er inzwischen zuordnen konnte. Sie gehörte Eryennis. Die Einhornstute mochte nicht seiner Sippe angehören, doch sie war eine enge Freundin. Gelegentlich war sie auch seine Liebhaberin, gleichaltrig, so stürmisch wie er, abenteuerlustig und voller Tatendrang. Eryennis – das ganz besondere Mädchen in seinem Leben, intensiv und fordernd und begabter als

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