Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
zusammenfinden würden. Unas Mutter fand die Sommersprossen niedlich – aber die fand ja auch ein Außenklo romantisch und war somit, was ernstzunehmende Meinungen anging, gänzlich außen vor.
Lara, mit der sich Jan gerade in Spanien vergnügte, war blond und braungebrannt und hätte gut und gerne von so manchem Illustrierten-Cover herunterlächeln können. Sie war ein Modeltyp. Una hätte bestenfalls für Irlandreisen Werbung machen können, irgendwo zwischen einem Kleeblatt und einem Glas Guinness. Die niedliche Rothaarige, die keinem hippen Ideal entsprach, eher klein als langbeinig, eher stupsnasig als klassisch, mit Haaren, die irgendwo zwischen Karotte und Kastanie angesiedelt waren. Ihre Mutter, die mit Henna den gleichen Farbeffekt zu erzielen versuchte, fand Unas Haare natürlich toll, aber auch da griff wieder die Außenklo-Maxime.
» Weiter! « , befahl sich Una und packte ihren Lenker fester. Sie wollte nicht über ihr Aussehen nachdenken. Und nicht über Lara oder Jan oder darüber, dass ihr ein wenig sonderbar zumute war, so als wartete irgendetwas auf sie. Doch das hatte bestimmt mit der Hitze zu tun. Hier war schließlich nichts. Was sollte schon sein?
Ihre eigene Stimme klang sehr einsam in der stehenden Wärme des Tages. Entschlossen schob Una ihr Rad wieder voran, den sanften Hügel hoch. Zwischen den überwachsenen Mäuerchen, die seit einiger Zeit den Weg säumten, konnte man nicht weit sehen.
Als sie fast oben war, bog der Weg ab. Was dahinter liegen mochte, war nicht zu erkennen. Auf dem Schild hatte nichts darüber gestanden, wie weit es bis zur heiligen Quelle war. Doch jetzt noch umzukehren, ergab überhaupt keinen Sinn, obgleich ein Gedanke in Unas Gehirn herumspukte wie eine Einflüsterung aus dem Nirgendwo: Dreh um! Schnell, mach dich aus dem Staub, bevor es zu spät ist!
Blödsinn. Sie würde verdammt noch mal diese Quelle besichtigen und dort Pause machen. Und Fotos für Facebook. Schlimmer als ein Außenklo konnte es nicht sein, und auch das hatte sie gepostet.
Sie zerrte das Rad weiter den unebenen Weg entlang, der zunächst um den Hügel herumzulaufen schien und dann wieder nach oben führte. Als Una endlich den kleinen Gipfel erreicht hatte, sah sie, dass der Weg sich auf der anderen Seite relativ steil wieder nach unten wand. Am Fuß des Hügels konnte man etwas sprudeln hören. Ein Bächlein wand sich durch die Ebene hinter dem Hügel, von Una fort. Die Quelle selbst konnte sie noch nicht sehen. Sie schien sich irgendwo im Hügel zu verstecken.
Una lehnte ihr Rad an ein Steinmäuerchen. Sie würde es nicht bis nach unten schieben, andernfalls müsste sie es ja doch nur wieder hochzerren. Mit einem Seufzer nahm sie ihre Wasserflasche und ihre Satteltaschen und ging den Weg hinunter. Wenn man wie Una in der Großstadt aufgewachsen war, mangelte es einem an Vertrauen, irgendwelche Besitztümer allein herumliegen zu lassen.
Kurz vor der Grenze des Hügels zu einer sanften, grünen Wiese ragte Una ein alter Baum krüppelig entgegen. Als sie näher kam, sah Una in den Ästen bunte Stoffstreifen leuchten. Irgendjemand hatte sie dort festgeknotet, und sie hingen in der windlosen Hitze schlaff wie Lametta an einem alten Weihnachtsbaum. Es sah fremdartig aus, strahlte aber auch eine Art archaische Kraft aus.
Man band diese Streifen an die Bäume, um seinen Wünschen Realität zu verleihen. Jeder Streifen stand für einen Wunsch. Zumindest hatte Unas Mutter das behauptet. Ob es so genau stimmte, wusste sie nicht. Unas Mutter verband gerne das, was sie an Volkskunde und Mythologie gelesen hatte – und das war nicht wenig –, mit dem, was sie aus der Esoterik für sich als stimmig empfand. Bisweilen ergab es einen Sinn. Einer wissenschaftlichen Aufarbeitung mochte es nicht standhalten. Doch das musste es im Moment für Una auch nicht. Ihr ging es hier nicht um beweisbare Fakten. Und ein Rag-Tree war ein Rag-Tree.
Der knorzige Baum hatte seine eigene wunderliche und sehr fremde Schönheit. Una war stehen geblieben und starrte ihn fasziniert an. Als sie so dicht davorstand, hätte auch sie gerne einen Wunsch an den Baum gebunden. Aber sie hatte keinen Stoffstreifen, und es wäre bestimmt dämlich, sich das T-Shirt zu zerreißen, nur um hier in das stille Konzert der Wünsche einzustimmen.
Ihr wurde klar, dass sie gar nicht genau wusste, was sie sich wünschte. Da gab es vieles, aber sich zu wünschen, Jan hätte sie nicht gegen Lara ausgetauscht, würde auch nichts daran ändern,
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