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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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lange, helle Haar fegte über den Boden und fächerte sich dabei auf.
    Torgar erwartete eine muffige, abgestandene Luft, doch der Raum schien gut belüftet zu sein. Das war erstaunlich, denn das Erste, was er sah, waren skelettierte Einhörner, nicht verwest, sondern eher wie ausgetrocknet. Ihr Fell zog sich straff über ihre Knochen. Ein Eindruck von Darben und Tod, von Vergangenheit und doch auch lauernder Zukunft.
    Torgar starrte fassungslos in den Raum. Er war riesig, überspannte fast den ganzen Haupttrakt der Burg, war voller bunter Leuchtkristalle. Ein Sternenhimmel aus Edelsteinen, die ihr Licht auf eine absonderliche Szenerie abgaben wie irregeleitete Regenbögen. Seltsame Muster zogen sich über die Wände, eher geometrisch als bildlich. Sternbilder mochten es sein, vielleicht auch Formeln. Sie strahlten eine verstaubte Macht aus, hatten etwas Lauerndes, als warteten sie nur darauf, die Mardoryx aus ihrem Schlaf zu wecken.
    Dicht an dicht lagen sie, die Mardoryx, aneinandergeschmiegt, die Köpfe auf den Flanken des jeweiligen Vordermanns, die Gliedmaßen kaum sichtbar unter der Menge der Leiber. Sie waren ineinander verschlungen, übereinandergelegt, aufeinandergehäuft, kaum dass man erkennen konnte, welcher Körperteil zu welchem Wesen gehörte. Dutzende mussten es sein. Nein, Hunderte. Hörner staken wie Wegweiser in die Mitte des Raumes. Diese war leer bis auf eine Steinplattform aus schwarzen Basaltblöcken.
    Die Einhörner lagen da, rührten sich nicht. Tot, dachte Torgar. Sie sind alle tot.
    Dann spürte er es. Leben war noch da. Unendlich langsame Atemzüge, flach und leise, drangen an sein Ohr. Er besah sich das Bild, das sich vor ihm erstreckte. Eine Versammlung von ruhenden Mardoryx. Kreisförmig hatten sie sich aufgereiht, eng aneinander. Die Toten, so stellte er fest, waren am äußeren Radius des Kreises. Doch nach innen hin wurden die Skelette weniger, als hätte die Nähe der Wesen zueinander ihr Überleben sichergestellt. Leben klammerte sich an Leben. Sie waren das, was Torgar nie kennengelernt hatte: eine Familie.
    Ein Schauer lief ihm über den Rücken, dabei entsetzten die Toten ihn so sehr wie die Lebenden, denn letztere schliefen nur und mochten erwachen. Die Luft über ihnen flirrte, als sandten sie Hitze aus. Vielleicht war es Magie. Torgar wusste es nicht, und das machte ihn wütend.
    Er streckte die erbeutete Hornwaffe der liegenden Versammlung entgegen. Es war sein Zugang in die Halle der Einhörner. Sein eigen. Mit ihm in der Hand fühlte er sich der Masse an Leibern gleichzeitig zugehörig und überlegen. Sie schliefen. Er wachte. Sie lagen hilflos da. Er könnte sie einfach ermorden. Einen nach dem anderen.
    Der Gedanke hatte etwas Verführerisches, denn er fühlte deutlich, dass er diese Ansammlung an erstarrter Macht nicht mochte, auch wenn er die Einzelheiten dessen, was hier gesponnen war, nicht erfassen konnte. Es fehlten ihm die Sinne dazu.
    Sein Blick fiel auf eines der seitlich liegenden toten Wesen. Grau war es gewesen. Grau und wuchtig einst, mumifiziert und zerbrechlich jetzt. Die Augen waren ausgetrocknet, die Augenhöhlen schwarz und leer. Spinnweben hatten sich in der Mähne eingenistet. Torgar schüttelte unwillkürlich sein eigenes Haar, als müsste er die Krabbeltiere bei sich abwehren. Er spürte sie überall an sich, hatte das Gefühl, sie kröchen ihm unter der Haut entlang, um dort ihre Nester und Netze zu bauen – als fräßen sie an seinen Eingeweiden und höhlten ihn aus. Und er konnte nichts dagegen tun, denn er war tot.
    Er verstand etwas. Es war nur ein Gefühl, keine Gewissheit. Doch der graue Leichnam und er hatten etwas gemeinsam. Es war, als blickte er in den verzerrten Spiegel eines trüben Wassers, und sähe sich selbst.
    Er lenkte den Blick auf andere Einhornleichen, fort von dem, was er als Teil seiner selbst erahnte, ohne noch zu wissen, ob es wirklich so war. Doch er konnte nicht sagen, dass er bei irgendeinem anderen toten Leib ein Gefühl von Erkennen hatte. Vielleicht sollte er seiner Herde die Möglichkeit geben, selbst nachzusehen. Aber er wollte dieses Geheimnis nicht teilen. Zumindest nicht, bevor er nicht herausgefunden hatte, was genau es bedeutete.
    Er sollte die Tür jetzt schließen und gehen. Stattdessen hielt er die Hornklinge fest in einer, den Fuß des Tyrrfholyn in der anderen Hand und trat langsam vor. Seinen Gefangenen schleifte er über den Boden.
    Es graute Torgar davor, weiter in den Raum zu treten, doch er mochte

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