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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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gerade genug sehen, dass sie nicht fiel. Der Pfad war uneben und rutschig, nicht ausgebaut und gesichert. Gelegentliche Felsüberhänge ließen sie wünschen, sie hätte doch einen Schutzhelm. Ihr Schädel dröhnte, als sie sich die Stirn an einem Felsvorsprung anschlug. Sie spürte, wie ihr Blut über die Stirn und die Schläfe entlangsickerte.
    » Alles in Ordnung? « , fragte Esteron.
    Irene nickte. Jetzt nur nicht schlapp machen.
    Tiefer und tiefer ging es. Hier gab es keine Stufen. Manchmal musste man springen, um die nächst tiefergelegene Ebene zu erreichen. Manchmal drehte Esteron sich zu ihr um und hob sie zu sich hinunter. Seine starken Hände vermittelten Irene ein Gefühl der Sicherheit, das sofort wieder verschwand, wenn er sie losließ. Dann kletterte und rutschte sie weiter, hinunter in die Eingeweide der Erde.
    Irene sah sich um. Nichts als Fels. Nur das Licht von Macha und dem Helden beleuchtete den Weg und nicht einen Schatten mehr. Sollten diese beiden Gestalten verschwinden, würde sie niemals wieder hier herausfinden.
    Sie begriff in einer schrecklichen Sekunde, dass das vielleicht gar nicht vorgesehen war. Sie war mit ein paar Märchengestalten unterwegs in die Tiefe der Erde. Sie würde lebendig begraben sein.
    Sie verlor jedes Zeitgefühl, doch ihre Glieder schmerzten schon von so viel Kletterei. Bergab war noch anstrengender als bergauf. Sie blickte zurück, doch da war nur Schwärze über ihr, kein Weg war erkennbar. Die Dunkelheit jenseits des leuchtenden Schwertes war undurchdringlich. Es war, als schlösse sich der Hügel über ihr wie ein Grab.
    Beinahe hätte sie aufgeschrien, als ihre Füße auf einmal in etwas Nassem standen. Natürlich. Tropfsteinhöhlen führten immer Wasser. Sie spürte die Feuchtigkeit auf ihrer Haut. Sie drang durch ihre Kleidung.
    Beleuchtet vom Schein des Heldenschwertes öffnete sich eine weite Höhle vor ihnen. Die hatten die Höhlenforscher noch nicht gefunden und dem Tourismus erschlossen. Stalagmiten und Stalaktiten wuchsen von Boden aufwärts und von der Decke hinab. Manche hatten sich zu Stalagnaten zusammengefunden, waren zu Säulen zusammengewachsen, helle Streben mit braunrötlichen Mustern. Die Schönheit der natürlichen Architektur war atemberaubend.
    In der Mitte der Höhle glitzerte ein schwarzer Teich. Er wirkte unheilvoll wie ein schwarz verhangener Spiegel und war umgeben von Tropfsteinsäulen, die das Gewässer in ebenmäßigen Abständen umstanden. Als Touristin hätte Irene das einfach nur toll finden können. Jetzt betrachtete sie den kleinen Teich mit gemischten Gefühlen. Sie hatte Angst.
    » Ihr wolltet Antworten! « , sagte Macha und ließ sich auf dem einzigen Stalakmiten nieder, der breit genug war, um ein bequemes Sitzen zu ermöglichen. Wie eine Königin thronte sie an der gegenüberliegenden Seite des schwarzen Weihers, in dem sich die Stalaktiten spiegelten. Letztere, so stellte Irene fasziniert und ziemlich erschrocken fest, leuchteten matt und erhellten den Raum um das unterirdische Gewässer. Hinter der Göttin stand der Held, gestützt auf sein Bronzeschwert.
    Perjanu und Esteron standen konzentriert am schwarzen Ufer. Sie hielten die Hände über das Wasser ausgestreckt und atmeten tief ein. Fast blickten sie gelassen drein, während Irene sich so gar nicht entspannt fühlte. Sie begriff, dass hier ein Kraftort war und die Einhörner Magie tankten wie Sprit. Irene war ein wenig neidisch. Für sie war der schwarze Teich nur ein schwarzer Teich.
    » Una! « , sagte Irene, kniete sich neben das Wasser, als könnte seine Nähe auch ihr helfen, und starrte die Göttin darüber hinweg an.
    » Kennst du ihr Lieblingslied? Sing es! « , befahl Macha.
    Niemand, den Irene kannte, hatte nur ein einziges Lieblingslied. Man hatte viele, je nach Lust und Laune. Mal war es Folk, mal Klassik, mal was Modernes.
    » Ich singe nicht besonders gut « , sagte sie und öffnete den Geigenkasten. Bedächtig nahm sie das Seidentuch vom Instrument, strich über den Bogen aus Pferdehaar und spannte ihn. Dann legte sie die Geige an und begann zu spielen. Sie spielte langsam, ein Lamento, melancholisch, aber auch schön. Der Klang des Instruments hallte von den Höhlenwänden wider.
    Jede Note bedachte Irene einzeln, schickte sie auf den Weg zu Una, ließ sie voller Gefühl und Inbrunst erklingen. Sie starrte auf das Wasser, das sich von der Mitte her kräuselte und in konzentrischen Kreisen nach außen auf sie zu wallte. Eine winzige Welle schlug ihr

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