Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
Stockwerk sie Kanura verloren hatte, aber es war nicht das Erdgeschoss gewesen.
Ihre Schenkel und Waden brannten vor Anstrengung. So viele Stufen, das musste einen ja schaffen. Wenn sie hier jemals rauskam, würde sie fit genug sein, um den Empire-State-Marathon zu laufen. Im selben Moment kam ihr in den Sinn: Sie würde hier nicht rauskommen. Sie focht einen Kampf aus, den sie nicht gewinnen konnte.
Mühsam schob sie diesen Gedanken von sich. Er half kein Stück weiter, führte nur dazu, dass sie sich heulend in eine Ecke werfen wollte. Heulend in der Ecke wollte sie nicht sterben. Wenn schon, dann aufrecht und laute Beleidigungen von sich gebend.
Sie konnte ihre Verfolger inzwischen deutlicher hören. Die waren nicht so erschöpft. Sie waren diese Treppensteigerei gewöhnt. Sie waren nicht in den letzten zwei Tagen zweimal fast ertrunken. Sie waren ausreichend motiviert, um ihr sehr schnell nachzusetzen. Sie waren …
… da.
Una drehte sich um, als sie das nächste Stockwerk erreicht hatte. Ihre Verfolger waren bereits an der untersten Stufe der Gesindetreppe angelangt.
Una gönnte sich keine Zeit, genauer hinzusehen. Im Tageslicht, das durch die Fenster drang, wirkten die Menschen fahl und blass. Ein Geschubse und Gerangel waberte durch die Gruppe. Und sie holten weiter auf. Una versuchte, schneller zu laufen, aber ihre Beine waren nicht mehr in der Lage, weiter zu beschleunigen. Auch schien ihr Gleichgewicht nicht mehr vollständig zu funktionieren. Wenn man halb rückwärtsgewandt lief, dann stimmte die Richtung nicht mehr.
Sie stolperte über ihre eigenen Füße. Mühsam fing sie sich, rannte weiter, so weit vornübergebeugt, dass sie ihrem eigenen Körpergewicht hinterherrannte. Sie fiel, merkte, dass sie den Sturz nicht mehr aufhalten konnte.
Dann lag sie auf den Steinfliesen.
Einen Augenblick später war sie umringt. Wütendes Zischen und wildes Gestikulieren umgab sie. Sie versuchte gar nicht erst, auf die Beine zu kommen. Es war sinnlos geworden.
Etwas landete auf ihr. Sie brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass es ihr Rucksack war. Man bewarf sie mit ihren eigenen Habseligkeiten. Offenbar gab man ihr ihre Sachen zurück. Zischendes Flüstern flog über ihr hin und her. Dann trat eine junge Frau zu ihr. Sie hielt sich die Hände über den Mund, doch sie sprach, ganz leise, kaum vernehmbar.
» Geh! « , flüsterte sie. » Geh und siege, Prophezeite! «
Es war gewiss der falsche Augenblick, darauf hinzuweisen, dass Una nicht die Prophezeite war. Sie wollte gar keine Prophezeite sein. Prophezeiungen waren dämlich. Und sie wusste ja noch nicht einmal, was man über sie prophezeit hatte.
Sie blickte in die Runde von abgerissenen Menschen. Manche von ihnen sahen sie hoffnungsvoll an. Andere angsterfüllt. Wieder andere hatten Hass in ihrem Blick. Offenbar herrschte keine Einigkeit darüber, ob sie nun auserwählt war oder einfach nur eine Ketzerin. Immerhin hatte sie noch niemand umgebracht.
Sie versuchte nicht einmal, die stille Zuhörerschaft von irgendwas zu überzeugen. Stattdessen öffnete sie den Rucksack und stopfte ihre Sachen hinein.
Schließlich stand sie auf und warf sich den Rucksack über die Schulter. Sie wollte hier weg. Schnell. Bevor sich noch irgendjemand die Sache anders überlegte.
Die Menschen starrten sie an. Vielleicht überlegten sie bereits, ob sie wirklich auf ein paar Jungspunde hören sollten, die nichts vom Leben verstanden und sich noch nicht mit den Gegebenheiten der Hoffnungslosigkeit arrangiert hatten.
Verlegen scharrte Una mit dem Fuß über den Boden.
» Ich geh dann jetzt « , murmelte sie leise und brachte es nicht über sich hinzuzufügen, dass sie jetzt siegen und alles fürderhin besser werden würde.
Die Menschen um sie herum erstarrten. War es ihre Stimme gewesen, die die Gruppe so erschreckt hatte? Lautlos stoben die Menschen auseinander und rannten zurück zur Treppe. Jetzt wünschte sich Una doch, sie hätte immerhin gefragt, was es mit der Prophezeiung auf sich hatte. Vielleicht war ja etwas an Wissen dabei, das sie brauchen konnte?
Doch schon war sie wieder allein. Nicht einmal die Schritte der Menschen waren noch zu hören. Und obgleich Una eben noch voller Angst vor ihnen geflohen war, fühlte sie sich so gänzlich verlassen nun auch nicht besser.
Ein Kopf tauchte noch einmal an der Treppe auf. Eine Hand gestikulierte. Ein panisches Flüstern erreichte sie.
» Sie kommen! «
Dann war Una allein. Doch nicht mehr lange. Sie konnte Hufe
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