Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
vernünftig, sich den Fakten zu stellen, Hra-Esteron. «
» Nur, wenn man die Fakten wirklich kennt und sie nicht blind annimmt oder fürchtet. «
» Furcht kann man dir wirklich nicht nachsagen, mein Fürst. Doch dies hat nichts mit Mut zu tun. Es ist Irrsinn. «
» Ich bin nicht besonders mutig, Perjanu. Und dass ich nichts fürchte, kann ich schon gar nicht behaupten. Ich fürchte, dass dieser Stein nicht mehr als ein hübscher Stein ist. Ich fürchte, dass ich nicht besonders gut schwimmen kann oder einem Uruschge direkt vor die Zähne tauche. Doch vor allem fürchte ich, dass ich meinen Sohn nicht mehr wiedersehe. «
Perjanu legte still die Hand auf die Schulter seines Freundes. Der fuhr nach kurzer Zeit fort:
» Trauer ist die eine Sache. Doch davon abgesehen hat das alles ein Muster. Ich kann es noch nicht erkennen, aber es hat mit Kanura zu tun. Ich weiß nicht, was. Auch nicht, wie oder warum. Doch es wäre falsch aufzugeben. Die Vaterliebe treibt mich nur zum Teil. Enygme ist nicht die Einzige unter uns, die manchmal Ahnungen hat. Wir sind Tyrrfholyn. Uns sind die Schwingungen des Kosmos näher als … anderen. «
» Ahnungen haben wir alle. Ob sie irgendetwas Sinnvolles aussagen oder nur Produkte unserer Hoffnungen oder Ängste sind, ist etwas gänzlich anderes, mein Fürst. Und die Schwingungen des Kosmos sind nur dann eine gute Sache, wenn man nicht dafür stirbt. «
» Weise gesprochen, Bester meiner Schanchoyi. «
Perjanu nickte.
» Ich danke dir für das Lob. Ich nehme an, das heißt, du lässt dich nicht umstimmen? «
Esteron lachte leise. » Wie gut du mich doch kennst. «
Er blickte sich um und winkte einen Menschen herbei, der etwas stromaufwärts Wachdienst hatte.
» Gherit Schwertmacher « , sagte er ihm ernst. » Seid mein Zeuge und meine Zunge und berichtet der Fürstin Folgendes: Ich unternehme den Versuch, die Fluten zu durchmessen, um die Grenzen der Welt zu erproben, und um Kanura und Eryennis zu finden, die uns verlorengingen. Schanchoyi Perjanu wird Euch beistehen bei Eurem Bericht. «
» Nein, das wird er nicht! « , sagte Perjanu. » Ich gehe mit dir. Nein – vergeude keinen Atemzug mit Streit, du wirst ihn noch brauchen. Wenn das deine Aufgabe ist, so ist es auch meine. « Er wandte sich ebenfalls an den Menschen: » Gherit Schwertmacher. Die Verantwortung, die Wahrheit weiterzugeben, ruht nun allein auf Euch. «
Als sich der Mensch verneigt und auf einen Wink seines Herrn wieder entfernt hatte, blickte Esteron seinen Freund skeptisch an. Er konnte fühlen, dass dieser sich entschieden hatte, und obwohl ihm wohler gewesen wäre, das alte und immer noch nicht vollends wiederhergestellte Einhorn zurückzulassen, vergeudete er in der Tat keinen Augenblick mit dem Versuch, ihn umzustimmen. Alles fügte sich.
Vielleicht ergab es einen Sinn. Auch wenn er noch nicht sichtbar war, so mochte Talunys ihnen die Kraft geben, aus den Einzelteilen an Wissen und Wollen, an Trauer und an Hoffnung ein neues Ganzes zusammenzufügen. Denn die Welt war unsterblich, auch wenn Esteron und Perjanu es nicht waren.
Esteron ließ sich auf ein Knie nieder und berührte den saftigen Boden mit den Fingern.
» Talunys! « , sagte er und blickte entschlossen auf die Fluten.
Perjanu tat es ihm nach. Dann fragte er Esteron: » Jetzt gleich? Sollten wir uns nicht noch irgendwie vorbereiten? «
» Wie denn? Weißt du, was uns erwartet? «
» Das kalte Nass. Der feuchte Tod. Die andere Welt. Die Wiederkehr – oder die Wiedergeburt. Vielleicht waren wir gut genug, um dem Kreislauf des Lebens erhalten zu bleiben. Vielleicht waren wir schlecht genug, um als Kentauren wiederzukommen und einsam und verloren zu sein. «
» Vielleicht sind wir gut genug, um Kanura zu finden « , tröstete Esteron den Freund, dessen Furcht er spüren konnte und dessen Tapferkeit er darum umso mehr bewunderte.
» Oder wenigstens Antworten. Wissen. Weisheit « , hoffte Perjanu.
» Irgendwann werden wir dann hoffentlich ein Lied darüber schreiben können. Eines, das alle Tyrrfholyn lernen mögen und nicht nur die Ältesten der Schanchoyi. Ein Lied voller Abenteuer, Gefahr und – Rettung. «
» Das wäre schön « , sagte Perjanu. Dann begann er zu improvisieren:
» Es ging ein Fürst wohl in die Flut.
War’s schlecht, war’s gut?
Es zog ein Einhorn durch die Welt,
vielleicht als Held.
Tyrrfholyn gingen auf die Reise,
durchquerten Welten weise leise.
Und niemand sprach: so haltet ein,
Euch führt nichts außer
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