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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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jetzt Menschen anfallen würden. Wenn sie euch nicht gerade ignorieren, scheinen sie ganz gut mit euch auszukommen. Uns mögen die kleinen Dungproduzierer weniger. Ich glaube, wir nerven sie ein wenig mit dem Anspruch, dass Dinge Sinn, Plan und Ethik haben sollen, während sie ganz gut ohne all das zurechtkommen. – Und was meinst du überhaupt mit ›du oder sonst irgendjemand‹? Ich esse kein Fleisch. Die Uruschge freilich schon. «
    Er war Vegetarier? Hoffentlich stimmte das. Obwohl es natürlich schon berühmte Vegetarier gegeben hatte, die Massenmörder waren.
    » Jetzt sollten wir ein bisschen ruhen « , sagte Kanura schließlich, als Una beharrlich schwieg, und zog sie mitsamt Schlafsack wieder zu sich, als wäre es das Normalste der Welt. Seine Arme umfingen sie. Seine Lippen waren ganz nah an ihrer Stirn. » Hab keine Angst vor den Erdwörgen. Wenn ich dabei bin, werden sie uns vermutlich in Ruhe lassen. «
    » Er wollte mir helfen « , sagte Una und rührte sich nicht.
    » Möglich « , gab Kanura zurück. » Doch Rudelwesen denken anders. Aber keine Angst. Ich bin ja bei dir. «
    Genau das war verdammt noch mal das Problem.

Kapitel 30
    Die Nachtharfe tönte, und das Gebirge sang in eigentümlichen Klängen. Nicht jeder konnte sie hören. Sie waren nur für ganz bestimmte Wesen gedacht, erreichten diese, ließen sie auffahren und jäh auf die Hinterhufe steigen. Die Musik durchdrang ihre geschundenen Seelen, schob die einen Gefühle in den Hintergrund und brachte andere dafür in den Vordergrund. Sie gaukelte eine Erinnerung vor an etwas, das vertraut sein sollte und dessen Unerreichbarkeit an einem nagte.
    Der graue Kentaur schnaubte wütend, während ihn die Aufforderung in ihrer ganzen Dringlichkeit durchfuhr. Obwohl er nicht genau wusste, von wem die Befehle ausgesandt wurden, verstand er sofort, was er jetzt zu tun hatte. Die von ihm erwartete Aufgabe flammte in seinem Denken auf wie ein Leuchtfeuer.
    Er hatte sie kommen sehen, die Aufgabe. Dass sich etwas anbahnte, war ihm schon länger klar. Was diese auslösen und wie es ablaufen würde, lag noch für alle im Dunkeln. Niemand wusste mehr. Niemand außer der Spielerin der Nachtharfe.
    Das Leben der Kentauren war geprägt von der Unentschlossenheit ihres Körpers und ihres Wesens. Sie waren weder Mensch noch Pferd, ins karge Leben geworfen mit nichts als dem diffusen Wissen, dass es anders sein müsste. Dass ihnen das Recht, wie die Einhörner die Gestalt zu wechseln, zustehen müsste! Dass es ihnen vielleicht sogar einmal zugestanden hatte.
    Und so ergaben sich die Kentauren nicht in ihre Natur, sondern versuchten stets, sich zu wandeln. Manch einer zerbrach daran, verzweifelte an seinem Zwischendasein, und sie alle hofften, das in sich wiederzufinden, von dem sie glaubten, es gehöre zu ihnen. Andere hofften auf eine Existenz jenseits des Kentauren-Seins. Wie das zu erreichen war, blieb jedoch stets unklar. Nur an eines glaubte der Graue wie jeder Kentaur fest: dass Änderung möglich war, wenn er jetzt alles richtig machte.
    Was im Moment richtig war, schwang in der Musik, die ihn durchdrang. Doch Musik war in ihrer Aussage zu undeutlich, als dass man sie genau verstehen konnte. Er spürte die Anweisung zu folgen, und wusste doch nicht, was genau das Ziel war. Das war ein zutiefst kentaurisches Problem: nie das eigentliche Ziel zu kennen. Die Unsicherheit zerriss ihn fast vor schierem Ärger. Ärger und Wut wohnten in den großen Wesen zu dicht unter der Oberfläche – stärker und noch über der klaren Vernunft angesiedelt, waren diese Gefühle wie eine trennende Schicht, die die Seele von allem fernhielt, was gut und vielleicht erstrebenswert wäre.
    Das Leben war eine Bürde. Doch selbst innerhalb der eingeschränkten Möglichkeiten, die ihm als Kentauren zustanden, hatte der Graue es zum Herdenführer gebracht. Ärger und Wut konnten auch einiges bewirken. Seine Wut war von großer Macht. Und um Macht ging es schließlich stets.
    Er würde sie also um sich sammeln, die Herde, die zu ihm gehörte und dabei so missmutig war wie er selbst. Der graue Kentaur wusste nicht, ob seine Herdengefährten das Gleiche fühlten wie er, ob auch sie davon überzeugt waren, dass ihnen Vollkommenheit zustand. Dass Vollkommenheit etwas war, das man sich sichern konnte wie eine Beute.
    Kein Laut außer der Harfe war zu hören, selbst die Vögel hatten zu singen aufgehört. Ob sie die Klänge aus den Bergen wahrnahmen oder einfach nur spürten, dass sich etwas

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