Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
anbahnte, wusste der Graue nicht. Es war ihm auch einerlei.
Es hatte begonnen. Die Dinge waren in Bewegung. Endlich würde sie kommen, die Veränderung. Ob diese gut war oder schlecht? Er wusste es nicht. Auf alle Fälle bot sie Möglichkeiten.
Er wartete im grausteinigen Tal auf seine Herde, die sich eher widerwillig zusammenfand, keine Familie, eher eine erzwungene Zweckgemeinschaft. Sie würden dennoch kommen. Und sie würden ihm folgen, weil er sich das Recht auf Gefolgschaft mit Macht erkämpft hatte.
Tyrrfholyn. Gestern hatte er den jungen Hengst mit einer Menschenfrau gesehen. Die beiden hatten nicht gewirkt, als wären sie eine Gefahr: schwach, verletzt, erschöpft. Was sollten sie schon ausrichten gegen fast dreißig Kentauren?
Vielleicht würden sie sich anfangs zur Wehr setzen. Doch sie würden verlieren oder sich ergeben – in der Hoffnung, dass sich schon alles zum Guten wenden würde. Denn das war doch in ihrem innersten Wesen, das Gute. Dafür standen sie und darüber konnten sie unendlich schwafeln und Lieder singen. Der graue Kentaur schnaubte verächtlich. Warum ausgerechnet Güte überhaupt Macht verleihen sollte, war ihm nicht klar. Macht war etwas anderes. Macht war etwas, das die beiden, die sie jetzt jagen würden, nicht hatten. Ein dünnes Lächeln verzog seine harten Gesichtszüge, als ihm eine Idee kam.
Der Sieg war sicher.
Kapitel 31
Esteron hatte Perjanu am Handgelenk gepackt, den goldenen Stirnreif hielt er in der anderen Hand. Ihn zu verlieren wäre tödlich.
Um sie herum sprudelte und brodelte das kalte Wasser. Sie waren hineingesprungen und hinabgetaucht. Sie hatten den steinigen Grund berührt und sich daran entlanggezogen, als warteten sie drauf, dass dieser sich auftat wie ein plötzliches Tor. Doch das war nicht geschehen. Nichts öffnete sich, kein Zugang ergab sich, nur Wasser umtoste sie, drückte auf sie hinab und riss sie mit einer gewaltigen Strömung unbarmherzig am Grund entlang.
Esteron hatte sich getäuscht! Der Stein war nichts als ein sinnloses Schmuckstück – nicht die Seele einer Nymphe, nicht der Schlüssel, um zwischen den Welten zu wandern.
Er versuchte, wieder nach oben zu gelangen, doch die Yssen hielt ihn und den alten Schanchoyi fest im Griff. Esteron wurde bewusst, dass er zu viel gewagt hatte. Er sandte seine Gedanken an Enygme, unsicher, ob ihm in diesem Element, das nicht das seine war, die Magie der Verbindung gelingen würde.
Ich liebe dich. Keine weitere Erklärung, nur das.
Er hätte Perjanu nicht mitnehmen dürfen. Ihn zurückzulassen, wäre auch grausam gewesen. Doch grausam zu sein wäre in diesem Fall richtig gewesen.
Wieder kämpfte er sich in Richtung Ufer voran, zog sich von Stein zu Stein über den Boden, während er gleichzeitig immer noch den Reif mit dem Edelstein hielt. Sie hatten tief eingeatmet, bevor sie gesprungen waren, doch auch ein tiefer Atemzug, unterstützt von ihren magischen Fähigkeiten, reichte nicht ewig.
Er hatte die Augen aufgerissen, und das wirbelnde Wasser brannte in ihnen. Die zahllosen Luftblasen verhinderten eine klare Sicht, doch zumindest konnte er in ihrer Umgebung keine großen Schatten erkennen, die die Anwesenheit von Feinden bedeutet hätten. Das Wasser selbst war Feind genug.
Da!, erreichte ihn der Gedanke seines Gefährten. Esteron sah nach vorne, nach oben: Wurde es dort etwas heller?
Esteron zog Perjanu hinter sich her und nahm in seinem Innersten wahr, wie jener lautlos sang. Er erkannte das Lied der Hoffnung, auch wenn er es nicht hören konnte, denn der Schanchoyi vermochte so wenig unter Wasser zu singen wie der Hra.
Hoffnung mochte das Einzige sein, das ihnen blieb. An irgendeinem Punkt hatten sie einen Fehler gemacht. Sie ertranken.
Oder doch nicht?
Plötzlich wandelte sich das Wasser in Gischt. Der Druck der Strömung ließ ein wenig nach. Nur das Gewicht Perjanus an seinem Arm blieb gleich.
Nicht loslassen!
Dann war Esterons Kopf über Wasser, einen Augenblick nur. Schon zog es ihn wieder hinunter, und die Versuchung, die Last, die ihn in den Tod durch Ertrinken trieb, einfach von sich zu werfen und sich selbst zu retten, wurde unendlich groß. Seine Lungen drohten zu bersten. Vielleicht würde er das Ufer erreichen, wenn er sich anstrengte. Wenn er nur eine Hand freihätte, um sich an der Böschung festzukrallen. Doch beide waren zu wertvoll besetzt.
Nicht loslassen, beschwor er sich noch einmal, nicht mit der einen und nicht mit der anderen Hand.
Steine. Erde. Er fühlte
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