Die Quellen Des Bösen
zurückzukehren, der ihnen zur Hand ging. Schließlich wollte der einstige Vertraute des Kabcar wissen, was sein Schützling tat. Und wie es der Zufall wollte, bekam er die Nachricht in die Finger, die keine zwei Wochen alt war.
Nein! Seine braunen Augen füllten sich mit Tränen. Er legte die Hand auf den Zettel, wieder und wieder flog sein Blick über die Zeilen. »Der Kabcar ist tot, lange lebe der Kabcar«, flüsterte er blass. »Diese Worte habe ich zu ihm gesagt. In Granburg.«
»Das muss schon lange her sein«, schätzte der Hofnarr abwesend und kratzte sich am Hintern, während er über einem Text brütete.
»Sehr lange«, entgegnete Stoiko traurig. »Zu diesem Zeitpunkt befand er sich auf dem besten Weg, das Land später so gut zu regieren, wie noch kein Kabcar vor ihm.«
Verstohlen wischte er sich den feuchten Schimmer aus den Augen und fuhr sich über den breiten Schnauzbart, in dem graue Haare sprossen. Sein in den Jahren gereiftes und vom Aufenthalt im Gefängnis mit Furchen gezeichnetes Gesicht blickte gerührt, er stand auf und schritt zum Balkon.
Still ging er hinaus, um nach den Sternen zu schauen, deren Schönheit von den sich abzeichnenden Umrissen Tzulans gestört wurde.
Im Geiste kehrten die Erinnerungen an viele schöne und mitunter komische Augenblicke zurück, die er mit Lodrik geteilt hatte, von den ersten Gehversuchen über die ersten Sätze zu gemeinsamen Ausflügen. Sie standen vor seinem inneren Auge, als wären sie kaum Stunden her.
Er erinnerte sich auch an die furchtbaren Momente, wenn der Vater seinen Schützling ausgeschimpft und verhöhnt hatte und die Gäste der Bankette und Feierlichkeiten hinter vorgehaltener Hand Witze über den dicken Jungen gemacht hatten.
Keiner von den Großmäulern wagte es nach der Thronbesteigung, sich über ihn lustig zu machen , dachte Stoiko, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Dass ich ihn überleben würde, hätte ich allerdings nicht gedacht . Die Trauer brach mit aller Macht über ihn herein, Tränen liefen seine Wangen hinab.
»Verzeiht, dass ich vorhin nicht gleich reagiert habe.« Fiorell trat an ihn heran, seine übliche Komik hatte er abgelegt. »Ich war schon feinfühliger.«
»Dass sein Tod mir so nahe geht«, wundert sich Stoiko mit belegter Stimme. »Er war ein großartiger Mensch. Hätte man ihn doch nur nicht in die Arme des Bösen getrieben und verdorben! Norina und er …« Ein Schluchzen unterbrach ihn, er schloss die Augen, um sich zu beherrschen. »Norina und er waren ein so schönes Paar. Verfluchtes Testament, verfluchter Arrulskhán und verfluchter Nesreca!«
»Es hat ihn niemand so gut gekannt wie Ihr. Und wenn Ihr sagt, dass er im Grunde ein guter Mensch war, werde ich es nicht bestreiten«, meinte der Hofnarr. »Gebt Euch Eurem Schmerz hin. Danach habt Ihr wie wir die Pflicht, uns gegen seine Hinterlassenschaft zur Wehr zu setzen.«
»Seine Hinterlassenschaft? Damit meint Ihr seine Kinder, denke ich.« Stoiko räusperte sich und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen.
»Es wird sich bald zeigen, welche Variante der Prophezeiung die richtige war«, schaltete sich Perdór ein, der sich zu den beiden Männern gesellt hatte. »Stoiko, Ihr habt mein tiefes Mitgefühl. Ich teile Eure Meinung über Lodrik.« Nachdenklich zeigte er hinauf zu den flirrenden Umrissen Tzulans, geformt aus unzähligen Sternen, die ihre angestammte Bahn verlassen hatten. »Es stellt sich die Frage: Endet die Dunkle Zeit nun, oder beginnt sie erst recht?«
Erstaunt schaute ihn der Tarpoler an. »Und das fragt Ihr Euch allen Ernstes, Majestät? Govan wird ihm auf den Thron nachfolgen, und wir beide wissen, wer den Jungen erzogen hat, der beinahe im gleichen Alter wie sein Vater die Macht erhält.«
»Es waren weder ein weiser Stoiko Gijuschka noch ein aufrechter, wenn auch bärbeißiger Waljakov«, nickte der ilfaritische König, »ich weiß es sehr genau. Wenn Nesreca bei dem Tadc und kommenden Kabcar noch bessere Arbeit geleistet hat als bei dem bedauernswerten Lodrik Bardri¢, ist alles, was wir bisher erlebt haben, nur ein Spaziergang gewesen.«
»Ohne Pessimist sein zu wollen, stimme ich dem zu.« Stoiko erschauderte. »Wenn ich daran denke, wie menschenverachtend Nesreca vorzugehen pflegte und er selbst den Thronfolger mit in die Verlorene Hoffnung nahm, um ihm die Folterungen zu zeigen!«
Die Augen Tzulans, die Sterne Arkas und Tulm, glommen auf, als würden sie sich an den Zweifeln, Ängsten und Sorgen sowie der Trauer der
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