Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
nicht schämte. »Deine Medica?«
»Ja, Vater. Das ist Anna. Anna, das ist mein Vater.«
Er schob Anna, die genauso nass war wie er, nach vorne. Anna erkannte sofort den Schleier auf den Augen des Grafen und wusste, dass er kaum etwas sehen konnte. Sie machte einen Schritt auf den Grafen zu. »Euer Sohn hat mir schon so viel Gutes über Euch erzählt. Ich freue mich, Euch endlich zu treffen.«
Dann nahm sie ohne jegliche Scheu die rechte Hand des Grafen und führte sie an ihr Gesicht, so dass der blinde alte Mann ertasten konnte, wie sie aussah, was er mit zitternden Händen behutsam tat. »Du bist jung und du bist schön. Und klug bist du auch, das weiß ich von meinem Sohn. Sei mir willkommen.« Er küsste sie auf die Stirn und umarmte sie. Dann breitete er die Arme aus und befahl, weil er zu Recht annahm, dass genügend Neugierige aus seinem Gesinde zusammen mit den Gästen hereingekommen waren: »Holt Tische und Bänke herein, entfacht das Feuer im Herd, und bereitet alles vor, was man für ein festliches Bankett braucht! Mein Sohn ist zurück, und er hat eine Frau mitgebracht! Wenn das kein Grund zum Feiern ist!«
Seine Stimme ging im Jubel der Anwesenden unter. Im Nu herrschten wieder Leben und Fröhlichkeit in der düsteren Halle, Fackeln und Kerzen wurden zu Dutzenden entzündet, und ein geschäftiges Treiben begann in den Wirtschaftsräumen. In der Küche, die neben der Halle lag und die eine so große Herdstelle hatte, dass man dort einen ganzen Ochsen braten konnte, setzte man den Befehl des Grafen, so schnell es überhaupt möglich war, in die Tat um. Jeder, egal ob groß oder klein, alt oder jung, packte eifrig mit an. Es wurde Wein geholt und geschlachtet, gekocht, gebraten und gerührt, was Stall, Speicher, Vorratskammern und Keller hergaben.
Die durchnässten Ankömmlinge wurden derweil im daneben liegenden Waschhaus mit trockener Kleidung versorgt. Danach kümmerte sich Anna gleich als Erstes um ihren Famulus und Freund Bruder Thomas, dessen tiefe Fleischwunde während der Fahrt auf dem Wagen wieder aufgebrochen war. Die Medica ließ sich von ihrer Magd Berbelin, die stumm war, frisches Linnen, Nadel und Faden bringen und konnte Bruder Thomas jetzt endlich so versorgen, wie es nach ihrem überhasteten Aufbruch aus Oppenheim nicht möglich gewesen war. Leider hatte sie keinen Schlafschwamm zur Verfügung, mit dem sie ihn hätte betäuben können, ihre ganzen Vorräte waren von der Soldateska des Erzbischofs vernichtet worden, so dass Bruder Thomas mit der alten Methode vorliebnehmen musste: Berbelin gab ihm ein mit Stoff umwickeltes Stück Holz, auf das er beißen konnte, während Anna unter den erstaunten Blicken der neugierigen Mägde mit ihren kundigen Händen die klaffende Wunde mit sechs schnell ausgeführten Stichen vernähte. Bruder Thomas hielt sich tapfer. Zwar stand ihm der Schweiß auf der Stirn, aber er hatte seiner Freundin oft genug zugesehen, um zu wissen, dass sie etwas davon verstand und er nicht besser behandelt werden konnte. Anna bedauerte, dass ihr auch kein Aqua Vitae zur Verfügung stand, mit dem sie gute Erfahrungen gemacht hatte. Wenn sie Hände, Wunde und Instrumente vor der Behandlung damit säuberte, entzündete sich die Wunde meist nicht, und auch der gefährliche Wundbrand wurde so verhindert. Aber für dieses eine Mal musste es eben auch so gehen, sie hoffte auf die robuste Natur ihres Gefährten. Sie war sich mit Bruder Thomas darin einig, dass sie, wenn sie weiterhin als Medica arbeiten wollte, sich schleunigst wieder mit den wichtigsten Utensilien und Arzneien eindecken musste – die Frage war nur, wo?
Doch für heute ließ sie es genug sein. Morgen war auch noch ein Tag, und jetzt war es an der Zeit, sich in die Halle zu begeben, um die Heimkehr von Chassim gebührend zu feiern und ihre eigene Rückkehr ins Leben, nachdem sie praktisch schon mit einem Fuß auf dem Scheiterhaufen gestanden hatte, den der Erzbischof für sie hatte errichten lassen.
Als Anna, Bruder Thomas und Berbelin in die Halle kamen, wo bereits zwei Knechte, einer mit Laute und einer mit Sackpfeife, aufspielten, während aus der Küche aufgetragen wurde, was der gräfliche Haushalt hergab, brach die Musik ab, und das Lachen und die Gespräche verebbten. Die Tische bogen sich, und alle, die auf Burg Greifenklau bedienstet waren, waren natürlich eingeladen worden, mitzufeiern. Das war für Graf Claus von Greifenklau selbstverständlich, er wollte, dass alle an seiner Freude Anteil nahmen.
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